Betrieb und Gewerkschaft: Urteil aus Karlsruhe beendet die Debatte um die Zukunft Europas nicht

Im Sommer 2011 war es soweit. Das Bundesverfassungsgericht verließ seinen Sitz im Schlossbezirk und bezog für drei Jahre seinen Dienstsitz „Waldstadt“. Grund für den Umzug war die Grundsanierung seiner Liegenschaften. Rechnet man den Umbau für den vorübergehenden Amtssitz mit ein, investiert die öffentliche Hand fünfzig Millionen Euro in sein Verfassungsorgan. Derartige Investitionen könnten in Deutschland und Europa zur Ausnahme werden, zu massiv sind die Einschnitte, die Europa bevorstehen.

Im Sommer 2011 war es soweit. Das Bundesverfassungsgericht verließ seinen Sitz im Schlossbezirk und bezog für drei Jahre seinen Dienstsitz „Waldstadt“. Grund für den Umzug war die Grundsanierung seiner Liegenschaften. Rechnet man den Umbau für den vorübergehenden Amtssitz mit ein, investiert die öffentliche Hand fünfzig Millionen Euro in sein Verfassungsorgan. Derartige Investitionen könnten in Deutschland und Europa zur Ausnahme werden, zu massiv sind die Einschnitte, die Europa bevorstehen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist deshalb enttäuschend. Erstmals in der Geschichte erleben wir, dass die Armen für die Schulden der Reichen bezahlen müssen. Dennoch war die Verfassungsbeschwerde nicht vergeblich. Den Klägern – darunter DIE LINKE – ist es zu verdanken, dass die Haftungsgrenze auf 190 Milliarden Euro begrenzt ist und die Mitwirkungs- und Informationsrechte des Bundestags gestärkt wurden. Den Richtern in Karlsruhe ist kein Vorwurf zu machen, dass sie die europäische Sparorgie nicht komplett gekippt haben. Gerichtspräsident Voßkuhle sagt, „über die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit des vom Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Rettungspakets“ entscheide nicht das Gericht, sondern dies sei originäre Aufgabe der Politik. Wenngleich heute keiner sagen kann, welche Maßnahmen für uns „und die Zukunft unseres vereinten Europas in der derzeitigen Krise tatsächlich am besten sind“, ist für DIE LINKE auch Gestern schon klar gewesen: sozialer Kahlschlag bei Löhnen und Renten und ein Ausverkauf öffentlichen Tafelsilbers können nicht die Blaupause für Europa sein. Wir brauchen einen Kurswechsel.

Die Bundesregierung ist auf diesem Auge blind: Europas Gesundung wird einseitig angestrebt über das Dogma einer brutalen Kürzungspolitik und die rücksichtslose Ausrichtung auf Exporte durch einen brutalen Standortwettbewerb, basierend auf niedrigen Produktionskosten. Vize-Exportweltmeister Deutschland liefert die Vorlage mit Gerhard Schröders Agenda-Politik: Nach wie vor ist die SPD stolz auf Lohnabbau, die Hartz-Gesetze, 1-Euro-Jobs, eine Million Leiharbeiter und Rentenkürzungen auf ein Niveau, das dazu führen wird, dass die sogenannten Zuschuss- und Mindestrenten von CDU und SPD das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen.

Die katastrophale Situation in Griechenland zeigt, wohin es führt, wenn versucht wird, Staatsverschuldung einseitig über die Ausgabenseite zu begrenzen. Die Staatsausgaben wurden zwischen 2009 und 2011 um 13 Prozent gesenkt, im gleichen Zeitraum stieg die Arbeitslosigkeit um rund zehn Prozent und liegt mittlerweile bei über zwanzig Prozent. Bei Jugendlichen bei über 50 Prozent. Der private Konsum ist kongruent rückläufig und das BIP ist seit 2009 um rund 14 Prozent geschrumpft. Die öffentliche Verschuldung ist heute höher als je zuvor. Der neoliberale Feldversuch, die Euro-Krise in den Griff zu bekommen, ist gescheitert. Es ist nicht mehr als eine volkswirtschaftliche Binsenweisheit, dass Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Haushaltsüberschüsse nicht entstehen können, wenn private, unternehmerische und staatliche Investitionen gleichzeitig einbrechen.

Doch nicht genug damit, dass die bisherigen Hilfspakete geknüpft waren an ein Orchester von sozialen Grausamkeiten. Vor Europas Tür steht der Fiskalpakt, der Haushaltsdisziplin suggeriert, im Klartext aber Investitionen wie die in das Bundesverfassungsgericht unmöglich macht. Damit werden aber Investitionen in Schulen, Schwimmbäder, Theater und Jugendclubs ausgeschlossen. Die Schlaglöcher auf Deutschlands Straßen werden mit jedem Winter zahlreicher werden. Europas Staaten dürfen sich nur noch mit rund 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes neu verschulden. Dies betrifft nicht nur den Bund, sondern auch Landes- und Kommunalhaushalte. Über ihnen kreist ein Aasgeier namens Fiskalpakt. Zusätzlich muss der Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt von mehr als 80 Prozent auf 60 Prozent zurückgeführt werden. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen wird so eine staatliche Konjunkturpolitik ausgeschlossen. Für die Bundesregierung ist dies alternativlos.

Dabei existiert eine Alternative, um derartigen Horrorszenarien zu entgehen: Die vom Fiskalpakt geforderte Schuldenreduktion muss von den Reichen und Vermögenden finanziert werden, deren Vermögen sich in den vergangenen Jahren massiv erhöht hat. Sie muss von denen erbracht werden, die verantwortlich sind für die steigende Staatsverschuldung. In Deutschland leben mehr Millionäre als je zuvor. Bisher aber haben die Reichen und Superreichen sich nicht an den Kosten der Krise beteiligt. Weder in Deutschland noch in Griechenland werden Millionäre effektiv besteuert. Mit Beginn des Fiskalpakts ist die Debatte darüber, wie Deutschland und Europa künftig ihre Haushalte aufstellen, nicht beendet. Für uns beginnt diese Debatte mit dem Urteil jetzt von neuem. Am Ende dieser Debatte muss stehen, dass nicht die Ausgaben weiter zurückgeführt werden, sondern die Einnahmeseite durch eine effektive Besteuerung von Reichtum gestärkt wird.