Die Linke ist ein Parteiprojekt um das es sich zu kämpfen lohnt

„Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt“ (Friedrich Schiller)

Es ist nach dem katastrophalen Wahlergebnis bei den letzten Bundestagswahlen in den meisten, vor allem konservativen Medien, Mode geworden das nahende Ende der Partei DIE LINKE herbeizuschreiben. Meistens wird davon gesprochen, dass sich die Partei selbst zerlegen bzw. ihre Selbstauflösung betreiben würde. Allermeist wird dabei der Konflikt mit Wagenknecht als Zeugnis angeführt, der von den Medien selbst permanent als Elefant in den Raum gestellt wird. Mehr oder weniger häufig wird noch kommentiert, dass es doch gerade jetzt, in einer Zeit galoppierender Preise und wachsender sozialer Ungleichheit einer linken Partei bedürfe. Aber die vorhandene würde es halt nicht bringen.

Auch in der Zeitschrift Sozialismus wurde in so manchem Artikel ein für mich befremdlich distanzierter Ton angeschlagen, wenn es um die Partei DIE Linke ging. In der vorletzten Ausgabe kam Alban Werner unter der Überschrift „Über eine Partei in schrittweiser Auflösung“ zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Das Szenario einer schrittweisen Auflösung wird erfreulicherweise von den immer noch 55 000 Mitgliedern, über 350 Kreisverbänden, den tausenden kommunalen Mandatsträgerinnen, großen Teilen der Landtags- und Bundestagsabgeordneten und vielen Aktivist*innen nicht geteilt. Natürlich kann niemand mit Umfragen von durchschnittlich 5 Prozent zufrieden sein. Es sind aber immer noch ca. 2,5 Millionen Wähler*innen, die bereit sind der Partei DIE LINKE ihre Stimme zu geben. Auf rund 18 Prozent wird von Umfrageinstituten das Potential der Partei geschätzt. Es gab Zeiten in der Nachkriegsgeschichte, in der solche Werte unerreichbar erschienen.

Um Missverständnissen vorzugreifen: Ich weiß, dass die Partei derzeit eine Krise durchleidet und will das auch gar nicht schön reden. Es kann einige Zeit dauern bis der Turnaround gelingen wird. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. 2012, als Katja Kipping und ich zu Parteivorsitzenden gewählt wurden, stand die Partei vor der Spaltung und wurde in Umfragen auf 4-6 Prozent taxiert. Trotzdem konnte sich die Partei bis zu den Wahlen 2013 stabilisieren und zog noch vor den Grünen mit 8,7 Prozent in den Bundestag ein. Die  behauptete programmatische und strategische Erstarrung als Preis für den innerparteilichen Frieden hat es nicht gegeben. Im Gegenteil. Es war der Parteiführung bewusst, dass die Partei mit ihrer Politik gegen die Agenda 2010 und der Betonung von Alleinstellungsmerkmalen gegenüber der SPD an ihre Grenzen kommt.

Programmatische Weiterentwicklung

Deshalb wurden in den Jahren 2013 bis 2017 konkrete Konzepte für die zentralen Felder linker Politik ausgearbeitet. Dabei entstanden kohärente und finanziell durchgerechnete Konzepte zur Steuer- und Rentenpolitik. Das Modell einer solidarischen Gesundheitsversicherung wurde auf die Füße gestellt und weiterentwickelt. Ebenso ein durchgerechnetes Konzept für ein ambitioniertes Investitionsprogramm und die damit verbundene Stärkung des Öffentlichen und der öffentlichen Daseinsvorsorge. Später kam ein ausgearbeitetes mietenpolitischen Programm dazu. Wer auch nur die Wahlprogramme der Jahre 2005 und 2009 mit denen in 2013 und 2017 vergleicht, muss feststellen, dass hier eine enorme inhaltliche Weiterentwicklung erfolgt ist. Diese war notwendig, weil die Partei mehr und mehr gefordert wurde positiv zu formulieren, für was sie steht. In diesen Jahren bewegt sich die Partei in Umfragen stabil zwischen 8 und 11 Prozent.

Es ist auch völlig falsch, dass der Absturz von Martin Schulz DIE LINKE gerettet hätte. Es gab in der Zeit kaum kommunizierende Röhren zwischen SPD und Linken, also einen größeren Austausch zwischen Wählern beider Parteien. Der Hype um Martin Schulz ging nicht zu Lasten und der folgende Absturz leider auch nicht zu Gunsten der Linken.

Strategische Orientierung und Parteientwicklung

Bereits im November 2013 legten Katja Kipping und ich ein Papier zur strategischen Orientierung und Parteientwicklung vor. Darin werden die Aufgaben für eine linke Partei definiert: 1. Sie muss sich in der Gesellschaft und in zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen verankern. 2. Sie soll in der Lage sein, im Bündnis mit Anderen politische Auseinandersetzungen zu führen und in den sozialen und politischen Kämpfen eine Rolle spielen. 3 .Die Partei muss eine Struktur haben, die sie befähigt Wahlen zu organisieren und die Interessen ihrer Wähler*innen und die von ihr repräsentierten Gruppen in den Parlamenten zu vertreten. 4. Sie hat die Aufgabe, politische Orientierung zu geben und im positiven Sinne aufklärerisch zu wirken. 5. Sie sollte in der Lage sein zu aktuellen Fragen und politischen Auseinandersetzungen Stellung zu beziehen und eine in sich schlüssige Position einzunehmen. 6. Sie kann einen soziokulturellen Rahmen bieten und kulturelle Lebensräume aufbauen. 7. Sie kann emanzipatorische politische und kulturelle Ausdrucksformen entwickeln, die über den Horizont der bürgerlichen Kultur hinausgehen. 8. Die Linke agiert international in Zusammenarbeit mit den anderen Linksparteien.

Ich zitiere dieses Papier deshalb, weil damit die wesentlichen theoretischen Grundlagen gelegt wurden für das Parteiverständnis einer emanzipatorischen Mitglieder- und Bewegungspartei, die sich auch mit außerparlamentarischen Arbeit in der Gesellschaft verankert und bündnisfähig ist mit den sozialen, demokratischen und ökologischen Bewegungen. Die teils als strömungspolitischer Durchmarsch der Bewegungslinken kritisierten Wahlergebnisse auf den letzten zwei Bundesparteitagen haben wenig mit Durchmarsch, aber umso mehr damit zu tun, dass eine Mehrheit der Delegierten und wahrscheinlich auch der aktiven Mitglieder dieses Verständnis teilt.

Positionierung zu Austeritätspolitik und Europa

Ich habe gar nicht vor mich mit dem Etappenbild von Alban groß auseinanderzusetzen, aber ein solch holzschnittartiger Versuch eine komplexe Parteigeschichte zu kennzeichnen muss einfach schief gehen. Ausgeblendet wird z.B., dass im Januar und September 2015 Syriza die Wahlen in Griechenland gewonnen hatte. Die Einsetzung der Troika und das Austeritätsdiktat der EU beschäftigte die Linke in ganz Europa. In Deutschland war DIE LINKE die einzige Partei, die sich der Austeritätspolitik entgegenstemmte, Gegenpositionen formulierte und sich eindeutig an die Seite von Syriza gestellt hat. Auf dem ersten Zukunftskongress 2015 legten Katja Kipping und ich ein Manifest unter dem Titel „Die kommende Demokratie: Sozialismus 2.0“ vor. Es ging um die Aufgaben und Möglichkeiten einer Partei der Zukunft in Europa von Morgen und darum, dem rücksichtslos operierenden Kapitalismus eine sozialistische Alternative entgegenzusetzen. Am Ende des Papiers wurde ein konkreter 5-Punkte- Plan vorgelegt, der die weitere inhaltliche Entwicklung der Partei prägte. Die Überschriften hießen damals: 1. Kürzer, gerecht verteilt, kollektiv selbstbestimmt- die Arbeit der Zukunft dreht sich um das Leben. 2. Unser Plan B beginnt mit Wirtschaftsdemokratie und sozialökologischer (Energie) Wende. 3. Eine Offensive fürs Öffentliche – auf dem Weg zu einem Infrastruktursozialismus. 4. Eine neue Commune – für die Demokratisierung der Kommunen und das Recht auf Stadt. 5. Europa braucht eine demokratische Revolution.

Suche nach einem neuen Anker und verbindende Klassenpolitik

Mit dem Zukunftskongress (linke Woche der Zukunft) begab die Partei auf der Suche nach einem neuen Anker. Die bisherige (Wähler*innen) Basis, die wesentlich aus Erwerbslosen und sozial stark ausgegrenzten Menschen und eher akademisch gebildeten Wähler*innen bestand war zu brüchig. Strategisch versuchte die Partei stärker erwerbstätig Beschäftigte anzusprechen. Hier wurde erstmals der Begriff der verbindenden Klassenpolitik zur Sprache gebracht. Dahinter stand der Versuch einen stärkeren Bezugspunkt zu den Lohnabhängigen, ihren Interessen und gewerkschaftlichen Kämpfen herzustellen. Gleichzeitig wurde analysiert, dass die lohnabhängige Klasse befeuert durch die Agenda 2010, stark gespalten und zersplittert war, besonders in einerseits prekär und andererseits noch sozial und tariflich regulierte Beschäftigung. Diese Spaltung hat die Gewerkschaften geschwächt und ihre Fähigkeit Tarifverträge für die Mehrheit der Beschäftigten abzuschließen eingeschränkt. Das Konzept der verbindenden Klassenpolitik hatte darin seinen Ursprung. Es ging darum verbindende Interessen, Forderungen und Konzepte zu formulieren, die der Zersplitterung und Ausgrenzung entgegenwirken und gemeinsame Klasseninteressen herstellen können. Statt Abgrenzung nach Unten (Prekär Beschäftigte und prekär Lebende) und Außen (Flüchtlinge, Migranten*innen) ist der Gegnerbezug zum Kapital entscheidend. Der Begriff der Solidarität ist vor diesem Hintergrund weiter zu entwickeln. Ausfluss dieses Verständnisses war (2017 Becker/Riexinger, Supplement der Zeitschrift Sozialismus) ein Vorschlag für ein neues Normalarbeitsverhältnis, also für eine umfassende Neuregulierung der Arbeitsbeziehungen. In Anlehnung an die Kommunistische Partei Italiens (KPI) in den 60er Jahren beschränkt sich das Konzept nicht nur auf das direkte Lohnarbeitsverhältnis in den Betrieben, sondern auch auf die reproduktiven Bereiche, wie Wohnen/Miete, Gesundheitsversorgung, Erziehung und Bildung usw. Die KPI und linke Gewerkschaften in Italien nannten das den zweiten Scheck. Damit wurde gleichzeitig die Idee der verbindenden Partei aufgegriffen, die die direkten Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen mit den sozialen Kämpfen und Bewegungen verknüpft. Es ist schon eine Frechheit,  den Begriff der verbindenden Klassenpolitik als nichtssagendes, „weil letztlich alles umfassendes Buzzword“ abzutun.

Für die Umsetzung dieses Ansatzes wurde eine Dachkampagne auf dem Weg gebracht unter dem Motto: Das muss drin sein. Mit den Forderungen: 1. Leiharbeit und Befristung stoppen. 2. Existenzsichernde Mindestsicherung ohne Sanktionen und Hartz IV. 3. Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst. 4. Wohnung und Energie bezahlbar machen. 5. Mehr Personal für Bildung und Gesundheit. In einem umfassenden Prozess, der mit einem ambitionierten Bildungsprogramm begleitet wurde, erlernten viele Basisgruppen und Kreisverbände Methoden und Handwerkszeug von Kampagnenarbeit, wurde die politische Arbeit strukturiert und die Verankerung vor Ort verbessert.

Es ist erstaunlich und irgendwie bezeichnend, wenn  diese Prozesse der Parteientwicklung, der Politikfähigkeit und inhaltlichen Orientierung völlig ausblendet und einen inhaltlichen und strategischen Stillstand diagnostiziert wird.

ABGELÖST wurde die Dachkampagne mit einer gezielten Kampagne zur Pflege und etwas später zum Wohnen. Unter dem Motto „ Menschen vor Profite - Pflegenotstand stoppen“ sorgten über 200 Kreisverbände dafür, dass die Forderungen nach 100 000 Pflegekräften mehr, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gesellschaftlich verankert wurden. Eine Grund dafür dass DIE LINKE bei den Bundestagswahlen 2017 überdurchschnittlich von Beschäftigten im Gesundheitswesen gewählt wurde. Die Kampagne „Keine Profite mit der Miete“ hatte zwar nicht die gleiche Breitenwirkung, wie die Pflegekampagne, sorgte aber unterstützt durch die Fachpolitikerin in der Fraktion dafür, dass DIE LINKE als mietenpolitische Kraft wahrgenommen wurde. 2017 konnte DIE LINKE mit 9,2 Prozent ihr zweitbestes Wahlergebnis erzielen und landete erneut vor den Grünen. Sahra Wagenknecht hatte sich im Wahlkampf an das Wahlprogramm und die inhaltlichen Absprachen gehalten, so dass es zu einem geschlossenen Auftreten der Partei gekommen ist.

Auseinandersetzung um Migration und Flucht

Das änderte sich noch am Wahlabend, als Wagenknecht in der Tagesschau erklärte, dass mit der flüchtlingspolitischen Position der offenen Grenzen ein besseres Wahlergebnis nicht möglich gewesen wäre. Das war der Auftakt für einen innerparteilichen Großkonflikt, der auf dem Parteitag 2018 in einem Machtkampf eskalierte. Tatsächlich hatte die Partei u.a. als Reaktion auf den Wahlerfolg der AfD einen enormen Zulauf an neuen Mitgliedern (ca.9500 Eintritte im Wahljahr). DIE LINKE wurde als natürlicher Gegner der AfD wahrgenommen,  war bei den Aktionen der Seebrücke und anderen präsent und hatte eine kohärente Position zur Flüchtlingsfrage eingenommen, die erhebliche Teile der jungen Generation politisierte. Mit dem eskalierenden und öffentlich ausgetragenen Konflikt um die Flüchtlings- und Migrationspolitik brach dieser Zustrom neuer Mitglieder ab. DIE LINKE, wie auch die SPD wurde in der Flüchtlingsfrage nicht mehr als Partei mit einer kohärenten Position wahrgenommen. Als Gegenpool zur Rechten wurden zunehmend die Grünen ausgemacht, unverdient, aber dankbar für diesen Elfmeter, wie eine führende Grüne uns erklärte. Hinter dem Streit standen auch gravierend unterschiedliche Positionen zum Umgang mit der AfD. Wagenknecht und Teile ihrer Anhänger*innen betonten und betonen bis heute hauptsächlich die verfehlte Sozialpolitik der Regierung, die auf die Lebensverhältnisse der Unter- und Mittelschichten abzielte als Ursache für den Erfolg der Rechten. Dass es autoritäres Denken, Rassismus und Nationalismus in den Köpfen der Anhänger*innen der AfD gibt, wird weitgehend  negiert oder einfach ganz unterschlagen. Schließlich ginge und geht es darum rechte Wähler*innen zurückzugewinnen. Das gipfelte in ihre Kritik an der Großdemonstration „Unteilbar“ in Berlin, bei der DIE LINKE den größten Block der Parteien stellte.

Die Gegenposition der Parteiführung stand für eine klare Abgrenzung gegenüber rassistischen und nationalistischen Positionen, wie auch gegenüber der AfD. Dabei wurden die sozialen Ursachen keinesfalls negiert. Es wurde kein einfacher Antirassismus vertreten. Es gab jedoch keinen Zweifel, dass die AfD auch politischer Ausdruck weitverbreiteter Ressentiments gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten, wie auch nationalistischen und rassistischen Denkens ist. Der Parteivorstand war nicht bereit, ausgerechnet in einer Zeit, in der die Rechten fast ausschließlich die Geflüchteten angreifen, seine flüchtlingspolitischen Positionen aufzuweichen. Das gipfelte in einen Machtkampf auf dem Parteitag 2018 in Erfurt. Wer sich noch erinnert: Die Rede von Wagenknecht löste tumultartige Gegenreaktionen aus. Zum ersten Mal wurde nach einer Rede einer Fraktionsvorsitzenden eine Aussprache verlangt.

Die Parteispitze konnte den Konflikt für sich entscheiden und wurde, wenn auch mit schlechteren Ergebnissen wieder gewählt. Die inhaltlichen Positionen der Parteiführung wurden mit übergroßer Mehrheit bestätigt. Sahra Wagenknecht verzichtete nach dem gescheiterten Versuch mit Aufstehen auf den Wiederantritt als Fraktionsvorsitzende. Es ist falsch, wenn behauptet wird, die Parteispitze wäre den Konflikten aus dem Wege gegangen.

Nach dem schlechten Wahlergebnis bei den Europawahlen 2019 organisierte die Partei eine Strategiedebatte und führte im März 2020 eine Strategiekonferenz in Kassel durch. Dabei spielten inhaltlich eine Rolle unter welchen Bedingungen die Linke in eine Rot-Rot-Grüne Regierung eintreten kann und die Frage der sozialökologischen Transformation. Von mir wurde das Konzept eines sozialökologischen Systemwechsels bzw. eines linken Green New Deals zur Diskussion gestellt. Der Name LGND war umstritten, nicht jedoch der Inhalt. Es bestand breiter Konsens, dass die Linke ihr politisches Feld um die Klimagerechtigkeit erweitern muss. Beides ist eine Klassenfrage und muss in einem gesellschaftlichen Zukunftsprojekt aufgehen. Große Teile der Inhalte dieses Vorschlages sind in das Wahlprogramm für die Bundestagswahlen 2021 eingeflossen. Bereits im Sommer 2020 gaben Katja Kipping und ich bekannt, dass wir nach 8 Jahren Vorsitz nicht mehr antreten wollen. Der immer wieder aufgrund der Pandemie verschobene Wahlparteitag ergab einen reibungslosen Übergang zu den neuen Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Henning-Wellsow, wenn auch ein dreiviertel Jahr später als geplant Der neue Vorstand setzte sich mehrheitlich aus Bewegungslinken und Reformern zusammen.

Bundestagswahlergebnis ein Schock für die Partei

In die Coronaphase ging die Partei mit Umfragewerten zwischen 9 und 11 Prozent. Die Schwierigkeiten, besonders der Fraktion, zwischen den gegensätzlichen und parteipolitisch zuordenbaren Positionen wahrgenommen zu werden, führten dazu, dass im Vorfeld der Bundestagswahlen die Umfrageergebnisse auf 7-8 Prozent abgesunken waren. Oppositionsparteien haben es in Zeiten, in der das Regierungshandeln gefragt war ohnehin nicht ganz einfach wahrgenommen zu werden. In der Partei wurde ein in sich durchaus schlüssiges Konzept für einen solidarischen lockdown verabschiedet.

 Auf dem Bundesparteitag im Februar waren es noch durchschnittlich 7 Prozent. Dass es lediglich 4,9 Prozent wurden, wirkt bis heute wie ein Schock. Spätestens mit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und weiteren Überschwemmungen durch Starkregen hatte das Thema Klimaschutz eine dominierende Bedeutung. Die Partei hatte ein gutes Wahlprogramm zur Klimagerechtigkeit, das jedoch leider im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Es ist wahr, dass es der LINKEN an einem klaren Image zu dieser Frage fehlt.

Zwischenzeitlich haben die Grünen jedoch längst große Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit gerissen. DIE LINKE hat große Chancen hier stärker rein zu preschen. An inhaltlicher Kompetenz fehlt es nicht. Die unterschiedlichen Interpretationen, hauptsächlich zwischen Mitgliedern der Fraktion und der Partei tragen zu einem widersprüchlichen Bild nach Außen bei. Obwohl Untersuchungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung durch Befragungen von Kantar (Emnid) eindeutig untermauern, dass die Frage des Klimaschutzes hohe Priorität gerade bei den potenziellen Wähler*innen der Linken hat und ca. 70 Prozent wollen, dass die Partei Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen voranbringt, vertreten Teile der Fraktion (weniger der Partei) gegenteilige Positionen und warnen davor, dass die Partei grüner als die Grünen wird. Obwohl das offensichtlicher Humbug ist, wird an einem Thema, an dem sich eine ganze Generation politisiert, so keine konsistente Haltung in der Öffentlichkeit vertreten. Und das in einer Zeit, in der sich sichtbare Risse zwischen der Klimaschutzbewegungen und den Grünen auftun. Hier erweist sich eine Fraktion, die in ihrer Gesamtheit nicht mehr die Partei widerspiegelt als Hypothek für eine sozialökologische Politik, die der Dimension der Klimakatastrophe gerecht wird.

Das von Sahra Wagenknecht veröffentlichte Buch, „Die Selbstgerechten“ und mehr noch die zahlreichen Auftritte in Talkshows und anderen Medien hat der Partei erheblich geschadet und nicht gerade dazu beigetragen, dass das Image der Partei als politische Kraft eines sozialökologischen Systemwechsels verbessert wird. Die falsche und durch nichts bewiesene Behauptung von Wagenknecht im Vorfeld der Bundestagswahlen, die Führung der Linken verfolge einen Kurs für „Lifestylelinken“, der nicht mehr die Interessen der Einkommensschwächeren und den sog. Mittelschichten vertritt, hat Stimmen gekostet. Schlimmer noch, diese Thesen wirken nach Innen und Außen fort.

Alban Werner ist zuzustimmen, dass die Causa Wagenknecht gelöst werden muss. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Es wäre wohl in keiner anderen Partei möglich, dass ein prominentes Gesicht öffentlich über eine Parteigründung sinniert und die darum rankenden Spekulationen nährt. In einer linkspluralistischen Partei ist es nicht so einfach dem ein Ende zu bereiten. Das Mindeste was getan werden kann, ist solche Neugründungsversuche zurückzuweisen und Wagenknecht aufzufordern, die von ihr gelegten Feuer nicht ständig weiter zu schüren. Wichtiger noch ist, eine eigene Erzählung zu beginnen, was die Grundlagen und das Selbstverständnis unserer Partei sind und welche Unterschiede zu einer linkspopulistischen/linkskonservativen Parteigründung bestehen. Damit stärkt man nach Innen den Zusammenhalt und ist nach Außen klar positioniert. Das gemeinsame Papier aller Fraktions- und Parteivorsitzenden Anfang Dezember 2022 ist ein richtiger Schritt in diese Richtung.

DIE LINKE wird dringend gebraucht

Würde tatsächlich das Ende der linken Partei eingeläutet käme das einer politischen Katastrophe für die gesamte gesellschaftliche Linke gleich. Auf absehbare Zeit bestünde keinerlei Chance eine andere Formation hervorzubringen, die in den Parlamenten vertreten ist und vor allem gesellschaftliche Bedeutung hat. Würde Wagenknecht eine neue Partei gründen, wird das keine linke und schon gar keine sozialistische, sondern wie sie selbst formuliert eine linkskonservative Partei sein. Deshalb sind wir alle gut beraten, alles dafür zu tun, dass das linke Parteiprojekt wieder erfolgreich wird. Dafür ist es wichtig, dass in zentralen Fragen eine politisch konsistente Politik gemacht wird. An Aufgaben und Themen mangelt es nicht:

  • DIE LINKE ist die einzige Partei, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, die militaristische Sprache von Teilen der Grünen, CDU und FDP nicht übernommen hat und auf eine Verhandlungslösung im Ukrainekonflikt drängt. Ebenso lehnt die Partei das größte Aufrüstungsprogramm in der Nachkriegsgeschichte ab. Es ist völlig klar, dass in einer neuen geschichtlichen Lage der völkerrechtswidrige Angriffskrieg von Russland zu unterschiedlichen Reaktionen führt. Das gilt für fast alle Parteien. Die große Zerrissenheit, die manche diagnostizieren, gibt es bei diesen grundsätzlichen Positionen nicht. Auch hier kam der letzte Parteitag zu einem klaren Standpunkt: Weder den Angriff Russlands relativierende Anträge noch Anträge nach gezielten Waffenlieferungen hatten auch nur den Hauch einer Chance auf Mehrheiten. Vielmehr haben die o.g. Positionen klare Mehrheiten gefunden. Unterschiede gibt es bei der Frage der Sanktionen, aber auch hier hat die Position nach Sanktionen gegen Oligarchen und die Kriegswirtschaft eine klare Mehrheit gefunden. Außerdem erleben wir aktuell eine Einstellungsverschiebung bei der Bevölkerung. Verschiedene Umfragen ermittelten, dass 45 Prozent der Befragten die Lieferung schwerer Waffen ablehnt, lediglich 30 Prozent sind dafür. Eine deutliche Mehrheit ist für die schnelle Aufnahme von Verhandlungen.
  • Die hohe Inflation, besonders die Verdoppelung und Verdreifachung der Energiepreise treibt Millionen Menschen in die Armut oder bringt sie an den Rand existenzieller Krisen. Die Entlastungspakete der Regierung tragen zwar zu einer  Entlastung bei, weisen aber eine nicht unerhebliche soziale Schieflage auf. Stärker entlastet wird die Mittelschicht mit vergleichsweise hohen Einkommen, während die einkommensschwachen und die Schichten mit mittlerem Einkommen deutlich weniger entlastet werden. Der etwas voreilig ausgerufene heiße Herbst ist ausgeblieben. Viele erhielten ihre Energierechnung noch nicht. Die wenigsten können ermessen, was die Entlastungspakete der Bundesregierung bringen. Die einkommensarmen Schichten müssen viel Energie aufbringen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Die Gewerkschaften sind als gewichtiger Akteur für Massenproteste erst einmal ausgefallen. Die Position der LINKEN „Entlasten, Energiepreise deckeln und umverteilen“ kann im Laufe der Zeit, wenn mehr und mehr Menschen spüren, dass die Entlastungen nicht ausreichen, Resonanz finden. Außerdem kann DIE LINKE Proteste und Aktivitäten auf den Weg bringen, die dem wachsenden Unmut Ausdruck verleihen. Das wird in vielen Orten und Städten auch gemacht.
  • Deutschland erreicht auch im letzten Jahr die selbstgesteckten Klimaziele nicht. Verantwortlich ist die Reaktivierung von Kohle, der Verkehrssektor und Gebäude. Die Grünen verlieren an Glaubwürdigkeit. DIE LINKE kann hier offensiv ihr Konzept für eine sozialökologische Transformation in eine emissionsfreie Wirtschaft stark machen und ein Bezugspunkt für die Klimabewegung werden.
  • Die FDP propagierte auf ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart weiteres Wirtschaftswachstum und warnte vor Umverteilung. Im Unterschied zu vielen europäischen Ländern findet die Ampel nicht einmal die Kraft etwas so einfaches zu verabschieden wie eine Übergewinnsteuer. Inzwischen plädieren sogar bürgerliche Ökonomen für eine stärkere Belastung einkommensstarker und vermögender Bevölkerungsgruppen. Der Club Of Rome forderte, dass die reichsten 10 Prozent die Kosten der Klimakrise bezahlen müssen. Es gibt ein weit verbreitetes Bewusstsein, dass es nicht gerecht zugeht, unabhängig davon, dass es schwer ist für Verteilungsfragen zu mobilisieren. Bei diesen Fragen hat die Partei ein Alleinstellungsmerkmal, welches sie von allen anderen Parteien unterscheidet.
  • Im Alltagsleben werden die Verwüstungen der neoliberalen Ära für mehr und mehr Menschen erfahrbar. Unpünktliche Bahnen, mangelhafter ÖPNV, Personalmangel und Unterfinanzierung bringen Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Altenheime, Schulen und weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge an den Rand des Zusammenbruchs. Die Bedeutung des Öffentlichen und der Gemeingüter bekommt größere Beachtung. DIE LINKE kann deutlich machen, dass es für den gesellschaftlichen Wohlstand und Teilhabe entscheidend ist, in welchem Zustand die Daseinsvorsorge und die Gemeingüter sind und ihre klaren Positionen zum Ausbau und zur Finanzierung stärken. Hier geht es auch um Einstiege in ein anderes Wohlstandsmodell und die Stärkung öffentlichen oder genossenschaftlichen Eigentums. Das sind Schlüsselfragen beim sozialökologischen Umbau.
  • Sowohl während der Coronakrise, als auch in Zeiten der allgemeinen Verteuerung steigen die Mieten weiter. Die Partei hat schon vor Jahren eine Mietenkampagne auf den Weg gebracht. Die Forderungen nach einem bundesweiten Mietendeckel und dem vermehrten Bau von Sozialwohnungen in öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand sind hoch aktuell im Kampf um bezahlbare Wohnungen. Dazu kommen noch die gewaltigen Kosten für die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes, die in aller Regel auf die Mieter*innen abgewälzt zu werden.
  • Der Erfolg beim 9-Euro-Ticket zeigt, dass es enorme Nachfrage nach einem funktionierenden, ausgebauten und günstigen ÖPNV gibt. Die Partei konnte sich auf diesem Feld durchaus profilieren. Die Mobilitätswende ist ein wesentlicher Baustein zum Erreichen der Klimaziele. Die Bundesregierung droht dabei zu scheitern. Die Linke hat ein gutes Konzept für eine Mobilitätswende und für den Umbau der Automobilindustrie in eine Mobilitätsindustrie. Arbeitsplätze und Klima sollen gleichermaßen geschützt werden. Wir reden hier also über ein wichtiges Zukunftsprojekt, indem sich die Linke profilieren kann

Das sind nur einige, den aktuellen Auseinandersetzungen geschuldete Politikfelder auf denen DIE LINKE eine konsistente Politik entfalten muss, damit sie sich stabilisieren und wieder nach Oben arbeiten kann.

Unterstützung linker Intellektueller

Um aus der Krise herauszukommen braucht es auch intellektuelle Unterstützung. Intellektuelle, die die Partei kritisch und solidarisch unterstützen, wichtige politische Debatten anstoßen, an der Verbesserung von Programmatik und Kommunikation mitarbeiten und als Multiplikatoren für linke Politik wirken. Die gesellschaftliche Entwicklung bestätigt die linke Theorie der Mehrfachkrisen des Kapitalismus. Gerechtigkeitskrise, Wirtschaftskrise, Hegemoniekrise mit verstärkten Kriegsgefahren und die Klimakatastrophe verschränken und verstärken sich gegenseitig. Linke Intellektuelle können die Partei darin unterstützen grundlegende gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus und Einstiege in Zukunftsentwürfe herauszuarbeiten. Kritik ist für die Weiterentwicklung der Partei wichtig und willkommen. Das setzt voraus, dass die genauen Positionen der Partei zur Kenntnis genommen und die Prozesse, Strategien und die diesen zu Grunde liegenden Fakten analysiert werden. Kritik, die einfach vom Standpunkt der Unbetroffenheit von außen oder gar auf der Grundlage und dem Niveau der Spiegelberichterstattung oder anderer Leitmedien erfolgt ist wenig hilfreich.