Regierungspolitik lässt viel Spielraum für linke Opposition

Die Ampelregierung ist bisher nicht in der Lage, die Belastungen der hohen Inflation sozial gerecht auszugleichen. Beim sog. Inflationsausgleichsgesetz (Entlastungspaket 3) erhalten Höchstverdiener*innen eine dreimal so hohe Entlastung als Niedrigverdiener*innen. Es kann jedoch keinen Zweifel geben, dass gerade Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, mit geringen oder auch mittleren Löhnen einen großen Teil ihres Einkommens für Wohnen und Lebensmittel ausgeben müssen.

Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung verfügen über keinerlei Rücklagen. Eine massive Verteuerung z.B. der Energiekosten löst sofort existenzielle Sorgen aus. Die beschlossene Übernahme der Gaskosten für den Monat September wird kaum ausreichen die Kosten zu decken. Als Bemessungsgrundlage dient der Abschlag für den Monat September. Zu diesem Zeitpunkt wurden i.d.R. die Abschläge noch nicht erhöht, so dass die gestiegenen Kosten nicht enthalten waren.

Wenn es nach der von der Regierungskoalition eingesetzten Expertenkommission geht, sollen von März 2023 bis mindestens April 2024 (also weitgehend außerhalb der Heizperiode im aktuellen Winter) die Gaspreise gedeckelt werden. Für 80 Prozent des Gastpreises würde dann ein Bruttopreis von 12 Cent gelten. Bei Fernwärme soll es für 80 Prozent des Verbrauchs einen Bruttopreis von 9,5 Cent pro Kilowattstunde geben. Auch das stellt nur teilweise eine Entlastung dar, weil die Preise vor der „Energiekrise“ deutlich günstiger waren. Sollte die Regierung sich auf dieses Konzept festlegen, wäre es sozial ungerecht und ginge ökologisch in die falsche Richtung. Die Deckelung von 80 Prozent geschieht unabhängig vom Verbrauch. Menschen mit einem hohen Gasverbrauch, weil sie deutlich größeren Wohnraum nutzen, erhalten eine deutlich höhere Entlastung als Menschen, die in kleineren Wohnungen leben und wegen der gestiegenen Inflation ohnehin schon ihren Energieverbrauch gedrosselt haben.

Der Gastpreisdeckel oder auch ein Strompreisdeckel ist durchaus eine Erfindung der Linken, jedoch mit einem anderen Konzept. Demnach sollen gedeckelte Preise für den durchschnittlich nötigen Verbrauch gelten. Wer deutlich mehr verbraucht, weil z.B. die große Villa am Stadtrand geheizt werden muss, soll für den Mehrverbrauch auch höhere Preise bezahlen. Das wäre sozial gerecht und würde gerade Menschen in niedrigen oder mittleren Einkommensgruppen deutlich mehr entlasten und es hätte eine ökologische Steuerungswirkung. Menschen mit hohem Verbrauch müssten entweder höhere Preise bezahlen oder Energie einsparen.

Vermutlich wird die FDP alles tun um eine solch sinnvolle Gestaltung des Gas- und hoffentlich auch Strompreisdeckels zu verhindern.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass Rentner*innen, die 300,-- Euro nachgezahlt bekommen die ihnen beim ersten Entlastungspaket verweigert wurden. Studenten erhalten 200,-- Euro. Bei letzteren teilte das Statistische Bundesamt zum Weltstudierendentag mit, dass 2021 38 Prozent der Studentinnen und Studentinnen armutsgefährdet waren. Das ist mehr als doppelt so hoch, als bei der Gesamtbevölkerung. Da sind es auch viel zu hohe 16 Prozent.

Das 49-Euro-Ticket ist ein Fortschritt und wird sicherlich auch dank dem Druck von vielen Initiativen und von uns eingeführt. Das bedeutet für viele Benutzer*innen des ÖPNV eine Entlastung, ist jedoch viel zu weit vom 9-Euro-Ticket weg, um viele Autofahrer*innen zum Umsteigen zu bewegen. Dazu kommt, dass das Ticket nur im Abo und digital erworben werden kann. Fatal ist, dass keinerlei soziale Elemente enthalten sind, wie ein billigeres Ticket oder gar den Nulltarif für einkommenslose Gruppen. Wir werden deshalb unsere Aktionen für ein 29-Euro-Ticket und einen Einstieg in den ticketfreien ÖPNV für Erwerbslose, Schüler*innen und Student*innen fortsetzen.

Kritisiert werden muss, dass dem Bekenntnis zur Besteuerung von Vermögen, Kapitalerträgen und Erbschaften auf dem SPD-Konvent Anfang November keine Taten folgen. Die Ampel ist ersichtlich nicht bereit den wachsenden Reichtum der oberen 10 Prozent angemessen zu besteuern, um die anstehenden Maßnahmen zu finanzieren. Selbst die unsinnige Schuldenbremse soll aufrechterhalten werden. Der Slogan unserer Partei „entlasten, Preise deckeln, umverteilen“ ist aktueller denn je. Angesichts anstehender und kommender wichtiger Tarifrunden sollte er um die Forderung „Löhne erhöhen“ erweitert werden.

Klimaschutzziele weit verfehlt – sozialökologischer Umbau bleibt aus

Deutschland ist im Ranking beim Klimaschutzindex auf Platz 16 zurückgefallen. In den Punkten erneuerbare Energie, Energienutzung und Klimapolitik reicht es nur für ein „mäßig“. Hauptgründe für die insgesamt schlechtere Bewertung seien „der verlangsamte Ausbau von erneuerbaren Energien bis 2020 und der hohe Anstieg der Emissionen im Verkehrssektor im Jahre 2021“. Kurz vor dem Start der UN-Klimakonferenz in Ägypten hatte auch der unabhängige Expertenrat die deutschen Klimaschutzbemühungen als unzureichend bemängelt. Demnach ist es unwahrscheinlich, dass Deutschland sein Ziel noch erreichen kann, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent zu senken, im Vergleich zu 1990.

Die ambitionslose Klimapolitik der Regierung mit Beteiligung der Grünen wird verstärkt von den Umweltschutzverbänden und der Klimabewegung kritisiert. Bei Friday for Future gibt es einen wahrnehmbaren Bruch mit den Grünen und das völlig zurecht. DIE LINKE könnte ein wichtiger Bezugspunkt  werden, wenn wir unser Konzept einer radikalen und konsequenten Klimapolitik offensiv vertreten und unsere Glaubwürdigkeit nicht durch widersprüchliche öffentliche Aussagen gefährden. Ein Zukunftskonzept bei dem soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zwei Seiten der gleichen Medaille sind, hätte große Chancen, von erheblichen Teilen der Bevölkerung unterstützt zu werden. Auch der größte Teil unserer Wähler*innen will, dass wir soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz gleichberechtigt voranbringen.

Weltweit stößt die Menschheit weiterhin ungebremst das Treibhausgas CO2 aus. Der Ausstoß des Haupttreibhausgases Kohlendioxyd wird voraussichtlich 1 Prozent gegenüber 2021 zunehmen. Das 1,5 Grad Ziel der Pariser Klimakonferenz scheint nicht mehr erreichbar zu sein. Wir stecken schon inmitten der Klimakatastrophe. Der Kapitalismus mit seinem ungebremsten Drang nach Höchstprofiten kann die Klimakatastrophe nicht verhindern, im Gegenteil. Birgitt Mahnkopf schreibt in der neuesten  Ausgabe der Zeitschrift Luxemburg zum kapitalistischen System: „Geleitet durch eine ins Unendliche zielende Bewegung der Gewinnmacherei ist sein Wesensmerkmal die Maßlosigkeit – begründet im Geld als Kapital, das immer einen Überschuss erwirtschaften und vermehrt zu seinen Eigner*innen zurückkehren muss“. Die Träume eines grünen Wachstums ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch zerplatzen gerade an der Wirklichkeit, wie Seifenblasen. Stattdessen brauchen wir einen sozialökologischen Systemwechsel. DIE LINKE kann Einstiege in einen solchen formulieren, indem sie die in der Partei dafür entwickelten Konzepte, wie auch solche linker Intellektueller in und außerhalb der Partei aufgreift und öffentlich in verständlicher Form propagiert. Es geht nicht darum „unsere“ Wirtschaft zu retten, sondern einen sozialökologischen Systemwechsel auf den Weg zu bringen.

Nebenbei bemerkt tragen Kriege und Aufrüstung nicht unerheblich zur Klimakatastrophe bei. Das ist eine wichtiger, wenn auch nicht der einzige Grund, warum wir Waffenexporte, Aufrüstung und Militarismus ablehnen. Auch wenn  heute schon die Forderung nach Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zum Krieg in der Ukraine den Vorwurf auslöst, wir wären Putin Freunde (was wirklicher Unsinn ist) werden wir weiterhin für Lösungen am Verhandlungstisch plädieren und uns beharrlich weigern der militaristischen Sprache fast aller Parteien im Bundestag zu folgen.

Warum der heiße Herbst hinter den Erwartungen zurückfällt und wir trotzdem beharrlich  bleiben?

Der von der Partei ausgerufene heiße Herbst hat zahlreiche Aktivitäten der Kreisverbände und Basisorganisationen ausgelöst.  Den Auftakt machte in Leipzig ein Bündnis unter aktiver Beteiligung unserer Partei mit ca. 5000 Teilnehmer*innen. Dem folgten Demonstrationen von Gewerkschaften, Umweltschutz- und Sozialverbänden in 5 Städten mit einer Beteiligung von 24000 Demonstrant*innen. DIE LINKE hatte zu diesen Demos mobilisiert und war in der Regel mit einem gut sichtbaren Block vertreten. Das waren alles wichtige und richtige Aktionen. Die erhoffte Massenbewegung blieb jedoch aus und es ist noch lange nicht klar, ob die Gewerkschaften und die von ihnen mitgetragenen Bündnisse weitermachen und dazu beitragen, dass die Mobilisierung mehr Dynamik bekommen, Derzeit beteiligen sich einige unserer Kreisverbände an der vom deutschen Ableger der Zeitschrift Jakobin initiierten sog. Rallys unter dem Motto „Genug ist genug“ bzw. starten diese vor Ort.

Es gibt mehrere Gründe, warum der Protest nur zögerlich an Fahrt gewinnt. Viele Menschen haben noch keine höheren Rechnungen ihrer Energieversorger vorliegen. Das wird jedoch massiv im nächsten Jahr zunehmen. Gerade Menschen in der Grundsicherung oder mit niedrigem Einkommen mobilisieren ihre Energie für die Alltagsbewältigung, um irgendwie mit der Verteuerung der Lebenshaltungskosten über den Monat zu kommen. Das kostet enorm viel Kraft. Dazu kommt die Unübersichtlichkeit der Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung. Nur politische Interessierte können sich unter dem angekündigten Preisdeckel etwas vortellen, geschweige denn ermessen, was es für das eigene Haushaltsbudget bedeutet. Viele werden jedoch die Erfahrung machen, dass für sie keine nachhaltige Entlastung der gestiegenen Lebenshaltungskosten folgen wird, zumindest keine, welche die Belastungen auch nur annähernd abdecken wird.

Deshalb benötigen wir für weitere Proteste einen langen Atem und sollten unsere Aktionen und Kampagnen mindestens für den Horizont bis zum 1. Mai 2023 planen. DIE LINKE kann mit ihren Aktivitäten eine politischen Raum für die Artikulation von Protest und Diskussionsbedarf anbieten, mit Infoständen, Stadtteilkundgebungen, Veranstaltungen, „Rallys“ und gleichzeitig Bündnisse von Unten schmieden. Auch die Protest gegen die Agenda 2010 haben erst zögerlich begonnen und es braucht eine längere Zeit bis Massendemonstrationen folgten. Wichtig ist, dass wir über die Maßnahmen der Regierung aufklären wie auch über unsere eigenen Forderungen  und Positionen. Das Bündnis einiger Gewerkschaften mit den Umwelt- und Sozialverbänden ist ein wichtiger Schritt, um die sozialen Forderungen, wie auch die klimagerechten gemeinsam auf die Straße zu tragen und Druck auf die Regierung zu machen.

 

Stuttgart, den 17.11.2022

Bernd Riexinger