Ein Programm für Rot-Rot-Grün

Von Bernd Riexinger

Die Linke muss zum Motor eines Politikwechsels werden, der mehr ist als ein Regierungswechsel. Im Zentrum eines linken Reformprogramms steht der Kampf um ein „neues Normalarbeitsverhältnis“: Arbeitszeit muss gerechter verteilt werden und jeder muss von seinem Lohn gut leben können. Das ist kein Verzichtsprojekt, in dem die Beschäftigten mit „weniger“ auskommen sollen, sondern ein Projekt der Umverteilung – von Zeit und von Profiten. Prekäre Arbeitsverhältnisse müssen zurückgedrängt, Sozialsysteme gesichert und ausgebaut werden.

Die gesellschaftlichen Krisen sind das Ergebnis einer neoliberalen Politik. Voraussetzung für einen Regierungswechsel ist ein gemeinsames, linkes Reformprojekt. Dafür gilt es jetzt zu kämpfen. Der Gastbeitrag.

Wir leben in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche. Die größte Fluchtbewegung der letzten Jahrzehnte konfrontiert die Menschen in Deutschland und Europa mit den Auswirkungen von Krieg, Verfolgung, Armut und Gewalt. In der EU haben sich soziale Polarisierung und Prekarisierung verfestigt und befördern Abstiegsängste, die wiederum rechte und rechtspopulistische Ideologien nähren. Der Lebensstandard in vielen europäischen Ländern sinkt. Auch in Deutschland wächst die Armut kontinuierlich, wenn auch nicht so rasant wie in den so genannten Krisenstaaten, die unter der unmenschlichen Kürzungspolitik der EU leiden.

Diese Entwicklung ist kein Betriebsunfall, sondern Ergebnis neoliberaler Politik: Macht und Geld liegen in den Händen von Großkonzernen und einer Minderheit. Öffentliche Kassen sind ausgetrocknet, Geld für Straßen, Schulen, Krankenhäuser oder Theater ist immer weniger vorhanden. Die Löhne stagnieren, während die Unternehmensgewinne neue Rekorde verbuchen. Immer mehr Rentner leben in Armut.

Die große Koalition ist nicht gewillt, die gewaltigen Herausforderungen zu bewältigen. Eine Perspektive für einen Politikwechsel ist wichtiger denn je. Wenn sie nicht von links geschaffen wird, wird die Lücke von rechts genutzt werden. Linke Politik muss Alternativen anbieten und für Veränderung kämpfen.

Klaus Ernst hat in seinem Gastbeitrag einen neuen Aufschlag für Rot-Rot-Grün gefordert. „Die Linke müsse für 2017 die Regierungsverantwortung anstreben“, hat Gregor Gysi nachgelegt. Die entscheidende Frage ist aber, ob wir Partner für dieses Projekt finden. Ob SPD und Grüne überhaupt eine andere, gerechtere, Politik wollen. Bemerkungen wie die von Ralf Stegner, er würde lieber mit der FDP koalieren als mit der Linken, zeigen, dass der Wille zu einem Politikwechsel in der SPD nicht sehr ausgeprägt ist. Denn die FDP ist nun wirklich der Garant dafür, dass sich wirtschaftspolitisch – und damit sozialpolitisch – nichts ändern wird.

Es liegt nicht (allein) in der Hand der Linken. Ob Vorratsdatenspeicherung, Reform der Erbschaftssteuer, TTIP oder Asylgesetz: Bei fast allen wichtigen Politikfeldern bewegen sich SPD, Grüne und Linke eher auseinander als aufeinander zu. Voraussetzung für einen Politikwechsel ist jedoch ein linkes Reformprojekt.

Die Linke muss zum Motor eines Politikwechsels werden, der mehr ist als ein Regierungswechsel. Im Zentrum eines linken Reformprogramms steht der Kampf um ein „neues Normalarbeitsverhältnis“: Arbeitszeit muss gerechter verteilt werden und jeder muss von seinem Lohn gut leben können. Das ist kein Verzichtsprojekt, in dem die Beschäftigten mit „weniger“ auskommen sollen, sondern ein Projekt der Umverteilung – von Zeit und von Profiten.

Prekäre Arbeitsverhältnisse müssen zurückgedrängt, Sozialsysteme gesichert und ausgebaut werden. Wir brauchen Renten, die den Lebensstandard garantieren und Menschen vor der Armutsfalle schützen. Es mangelt an Pflegekräften, Lehrpersonal, Ärztinnen, bezahlbaren Wohnungen, kurz: Es knirscht an allen Ecken und Enden, seit die Regierungen den Sozialstaat aushöhlen und das Allgemeinwohl der Schuldenbremse unterordnen.

Diese Mängel gab es bereits vor dem Anstieg der Flüchtlingszahlen. Der Ausbau und die Modernisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge war und ist dringend notwendig. Das sind im übrigen wichtige Voraussetzungen zur Integration der Flüchtlinge. In einem Land, in dem jedes sechste Kind in Armut lebt, ist die soziale Frage akut. Wir brauchen ein Programm gegen Armut und ein Beschäftigungsprogramm, das die Menschen aus der Erwerbslosigkeit holt. Die Herkulesaufgabe des sozialökologischen Umbaus, der mehr ist als die Energiewende, muss endlich angegangen werden.

All das kostet Geld. Und Geld ist vorhanden. Ohne Umverteilung durch eine gerechte Besteuerung hoher Vermögen ist das alles nicht zu machen. Wer etwas anderes sagt, macht leere Versprechungen. In einer Zeit, in der den politischen Eliten als Antwort auf die wachsenden Krisen- und Kriegsherde nichts anderes einfällt, als Tornados und Awacs zu starten und die militärischen Optionen zu verstärken, braucht es eine konsequente Friedenspolitik. Das ist für Die Linke und für einen Politikwechsel unabdingbar.

Wir werden die Elemente eines linken Reformprogramms weiter ausarbeiten und in die gesellschaftliche Debatte bringen. Es wird darauf ankommen, dass sich Grüne und SPD dieser Debatte nicht entziehen (können), nicht ohne Gefahr, dass ihnen ihre Wählerschaft das Vertrauen entzieht.

Ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Politik gelingt nicht allein über die Parteien und Parlamente. Ein solches Reformprojekt muss gegen mächtige Interessengruppen, gegen die Lobby der Superreichen, gegen Kapitalverbände und große Teile der politischen Eliten durchgesetzt werden. Das geht nur mit breiter Unterstützung der außerparlamentarischen Organisationen und Bewegungen, wie Gewerkschaften, Sozialverbänden, Umweltgruppen, Erwerbsloseninitativen, feministischen Bewegungen, der Friedensbewegung.

Politische Veränderungen haben ihre Vorboten in sozialen Auseinandersetzungen wie den Streiks der Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten und anderen Branchen, der Großdemonstration gegen TTIP und andere Freihandelsabkommen, den Initiativen gegen Mietwucher und Vertreibung aus den Stadtzentren oder der hoffentlich wieder aufflammenden Friedensbewegung. Eine linke Machtperspektive entsteht auch aus der Verbindung dieser Initiativen und Bewegungen zu einem emanzipatorischen Gegenprojekt.