Eine Politik der Hoffnung organisieren!

Von Bernd Riexinger

Am 1. Mai 2015 startete unsere Kampagne "Das muss drin sein." Seitdem haben viele Hundert kleinere Aktionen vor Ort stattgefunden, mehr als ein Drittel der Kreisverbände beteiligt sich regelmäßig mit Infoständen und Aktionen, über 1500 neue Kontakte konnten so für DIE LINKE gewonnen werden.

Eine Zwischenbilanz der Kampagne

Am 1. Mai 2015 startete unsere Kampagne "Das muss drin sein." Seitdem haben viele Hundert kleinere Aktionen vor Ort stattgefunden, mehr als ein Drittel der Kreisverbände beteiligt sich regelmäßig mit Infoständen und Aktionen, über 1500 neue Kontakte konnten so für DIE LINKE gewonnen werden.
Das mittelfristige (!) Ziel der Kampagne "Das muss drin sein." ist es, die gesellschaftliche Auseinandersetzung um prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse anzufachen, Mehrheiten für zwei bis drei unserer Forderungen zu gewinnen und durch Mobilisierungen politischen Druck zu ihrer Durchsetzung aufzubauen. Das geht nicht von heute auf morgen. Linke Klassenpolitik muss angesichts der weiterhin ungünstigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse einen langen Atem beweisen. Vergleichbar mit der jahrelangen Arbeit bis zur Durchsetzung des Mindestlohns müssen wir die "Maulwurfsarbeit" an der gesellschaftlichen Basis, in den Stadtteilen und Betrieben leisten. Mit einer auf mehrere Jahre angelegten Kampagne tragen wir dieser Situation Rechnung, stehen aber auch vor der Herausforderung, uns oft kurzfristiger orientierte Parteiarbeit ein Stück weit zu verändern und zu erneuern.

Seit dem Start der Kampagne hat sich die gesellschaftliche Situation verändert. Weiterhin leben und arbeiten etwa ein Drittel der Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, die Spaltung zwischen Arm und Reich hat weiter zugenommen. Aber das politische Klima in den letzten Monaten wurde nicht durch Streiks und Proteste  dagegen bestimmt, sondern durch die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingsaufnahme, durch die Gefahr des reaktionären Terrorismus und durch die Kriege in der Ukraine und Syrien. Bei den Landtagswahlen im März haben wir als LINKE einen erheblichen Rückschlag hinnehmen müssen. Der Aufstieg der AfD und die darüberhinausgehende gesellschaftliche Rechtsentwicklung stellen eine Zäsur da, die zu neuen Herausforderungen für unsere Partei führt. Das Alarmsignal des Wahlsonntags ist, dass die AfD in Sachsen-Anhalt wie Baden-Württemberg stärkste Partei bei den Erwerbslosen und bei den ArbeiterInnen geworden ist. Viele Menschen haben zu Recht das Gefühl, dass die herrschende Politik ihre Interessen nicht mehr vertritt. Als LINKE dürfen wir nicht den Eindruck hinterlassen, dass wir uns mit unserer richtigen Position in der Flüchtlingsfrage in das politische Lager von Angela Merkel bewegen. Um den Rassismus zu bekämpfen sind breite Bündnisse notwendig und Aufklärung. Aber das alleine reicht nicht. Wenn es gelingt, das Feld der Auseinandersetzung um soziale Fragen dauerhaft mit der Einwanderungsdiskussion zu verbinden und rassistisch zu verschieben, ist das ein Erfolg der rechten Parteien von dem auch der herrschende Block profitiert. Um ein Bollwerk gegen Rassismus zu bilden, muss linke Politik die Ursachen von Rassismus und Rechtspopulismus bekämpfen – und dazu gehört an erster Stelle die neoliberale Politik der Prekarisierung und Entfesselung von Konkurrenz und Spaltungen.

Wir müssen die soziale Frage in den Mittelpunkt unserer Politik stellen und Menschen Angebote zur gemeinsamen Organisierung machen. Dies ist eine drängende und zentrale Herausforderung für die gesamte Partei in den nächsten Monaten und Jahren. Die Kampagne "Das muss drin sein" leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Es war von Anfang an ein Kerngedanke der Kampagne durch die Verbindung unterschiedlicher Forderungen eine solidarische "Brücke" zwischen der lohnabhängigen Mittelschicht, den verschiedenen Gruppen prekär Beschäftigter und den Erwerbslosen zu bauen und so Spaltung und Abgrenzung nach unten entgegenzuwirken. Dabei dürfen wir linke Politik nicht nur als Katalog von Forderungen denken. Der Erfahrung von Machtlosigkeit, in der viele Menschen sich nur noch als Spielball "fremder Mächte" erleben, müssen wir eine praktische, solidarische Alternative entgegensetzen. Eine Politik, die vor Ort, in den Betrieben, Stadtteilen und Familien spürbar ist. Die Hoffnung auf Veränderungen macht durch eine solidarische Alltagskultur, gemeinsame Organisierung und konkrete Erfolge in der Kommune. Die Erfahrungen ermöglicht, dass sich nicht durch Rassismus und Ausgrenzung der Schwächsten, sondern durch den Kampf gegen neoliberale Politik die eigene Lage verbessert.

Ein Ziel der Kampagne "Das muss drin sein." war und ist es, die Kampagnenfähigkeit der Partei an der Basis zu stärken und Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen konkrete Angebote zur gemeinsamen Organisierung zu machen. Dieser Anspruch lässt sich nicht von heute auf morgen verwirklichen. Eine erfolgreiche Kampagne zu führen, ist eine gemeinsame Kraftanstrengung und ein Lernprozess.  Um diesen Lernprozess gemeinsam zu gestalten, haben sich Mitte April knapp 150 Aktive in Berlin getroffen, um bei der Aktionskonferenz Zwischenbilanz zu ziehen, über die weitere Planung der Kampagne zu beraten und kreative Aktionen zu entwickeln. Die Stimmung war gut und die Zwischenbilanz fiel realistisch und positiv zugleich aus: die basisdemokratische Ausrichtung der Kampagne, die stärkere Einbeziehung der Basis in die Kampagnenplanung, findet gute Resonanz, das bundesweite Material wurde gelobt und zugleich darauf verwiesen, dass wir bei der Gründung offene Kampagnengruppen vor Ort und einer Art Rätestruktur zur Vernetzung der Aktiven noch am Anfang stehen. Die Aktionskonferenz hat gezeigt, dass Räume für horizontale Vernetzung und Erfahrungsaustausch besonders wichtig sind, um neue Dynamik in die Kampagne zu bringen. Bei den Aktiven war aber auch die Motivation spürbar, die Kampagne gemeinsam weiterzuentwickeln. Drei Anliegen wurden dabei immer wieder genannt: die Kampagnenthemen müssen alltagsnah zugespitzt werden und die Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung für unsere Forderungen verstärkt werden. Außerdem gab es den Wunsch, durch einen stärkeren Gegner-Bezug und kreative und auch provokantere Aktionsformen, die über Infostände und Veranstaltungen hinausgehen, eine stärkere Außenwirkung zu entfalten.

Die große Herausforderung für die nächste Phase der Kampagne bis zur Bundestagswahl 2017 ist es, die bundesweiten gemeinsamen Aktivitäten stärker als bisher mit lokalen Anknüpfungspunkten und Konflikten zu "Minikampagnen vor Ort" verbinden, die über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten bis Jahren aufgebaut werden. Dafür braucht es auch im Hinblick auf die Bundeswahl eine stärkere thematische Zuspitzung. Besonders geeignet für stärkere Skandalisierung und breite Resonanz sind die Themen Wohnungsnot und der Pflegenotstand, die von Erwerbslosen bis weit in die lohnabhängige Mittelschicht hinein Millionen Menschen betreffen.

Rund um den internationalen Frauenkampftag am 8. März startete die insgesamt dritte bundesweite Aktionsphase: gegen den Pflegenotstand in den Krankenhäusern. Die Aktionsphase lief außerordentlich gut an, mit der bislang größten  Beteiligung der Kreisverbände, zahlreichen Aktionen vor Krankenhäusern und guter Resonanz auf unsere Forderungen. Das liegt wohl auch daran, dass das Thema Personalmangel im Krankenhaus einen Nerv in der Gesellschaft trifft. Ob am eigenen Leib erfahren oder aus Erzählungen in der Familie oder im Freundeskreis – fast jede(r) kennt Geschichten über fehlende Zuwendung, gefährliche Fehler und gestresste KrankenpflegerInnen im Krankenhaus. Dreiviertel aller Pflegekräfte geben an, dass sie bei ihren derzeitigen Arbeitsbedingungen nicht bis zur Rente durchhalten können. Unsere Forderungen als LINKE sind klar: es braucht gesetzliche Vorgaben, eine gesetzliche Personalbemessung, um für alle Kliniken verbindliche Mindeststandards für ausreichend Pflegepersonal durchzusetzen. Am 1. Mai wollen wir auf den zahlreichen Veranstaltungen und Demonstrationen präsent sein. Am 12. Mai, dem "Internationalen Tag der Pflege", werden zahlreiche Kreisverbände exklusiv die Dokumentation "Katastrophale Zustände in deutschen Krankenhäusern" des Team "Wallraff" öffentlich vorführen.

Die Forderung nach mehr Personal in Gesundheit und Pflege ist auch deshalb besonders geeignet als ein Schwerpunkt der Kampagne, da sie es ermöglicht,  an gewerkschaftliche Kämpfe anzuknüpfen und gesellschaftliche Bündnisse zu bilden. Anfang April haben die Pflegekräfte an der Charité Berlin nach Monaten mit entschlossenen Streiks einen historischen Erfolg erreicht: den ersten Tarifvertrag für mehr Personal und weniger Stress im Krankenhaus. Der Arbeitskampf wurde monatelang unter starker Einbeziehung der Beschäftigten vorbereitet. Die Forderungen nach mehr Personal und weniger Arbeitsstress ermöglichen Bündnisse mit Patienten und anderen Beschäftigtengruppen. Es geht letztlich um gute Gesundheitsversorgung und gute Arbeit statt Dauerstress für alle Menschen. Slogans wie "Mehr von uns ist besser für alle" oder "Streiken gegen Burn-out-Gesellschaft" bringen das auf den Punkt. Das Beispiel Charité schlägt längst Wellen, in vielen Krankenhäusern bundesweit wird die Erfahrung aus Berlin diskutiert, werden betriebliche Aktionen und die nächsten Pflegestreiks vorbereitet.

Perspektivisch sollten wir daran arbeiten, die in betrieblichen und tarifpolitischen Auseinandersetzungen bereits (ansatzweise) politisierten Perspektiven zu stärken. In unserer Gesellschaft wird die Arbeit mit den Menschen in der Pflege, Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialarbeit immer noch überwiegend von Frauen geleistet – und zu wenig anerkannt und schlecht bezahlt. Dabei sollten wir auch die Gegner einer bedarfs-orientierten guten Gesundheitsversorgung ins Visier nehmen und die Umverteilungsfrage stärker betonen: Investoren in privaten Krankenhäusern wie Helios machen hohe Renditen auf Kosten der Menschen. Private Versicherungskonzerne profitieren vom Zweiklassensystem in der Gesundheitsversorgung. Das Geld für eine gute, öffentlich organisierte Gesundheitsversorgung ist da, alleine der politische Wille fehlt. Mit einer gerechten Besteuerung der 880.000 in Deutschland lebenden Millionäre könnten nicht nur die fehlenden 100.000 Pflegekräfte in den Krankenhäusern finanziert werden.