Grundrechte und Demokratie müssen aktiv verteidigt und durchgesetzt werden

Rede von Bernd Riexinger

Rede von Bernd Riexinger auf der Demonstration gegen Berufsverbote vor dem Stuttgarter Landtag

Ich freue mich, dass ich heute hier mit euch vor dem Landtag demonstrieren kann. Es ist ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, dass alleine zwischen 1972 und 1980 etwa 3,5 Millionen Menschen vom „Verfassungsschutz“ auf ihre politische „Zuverlässigkeit“ durchleuchtet wurden. Das zeigt: Die Berufsverbote entstammen einer Zeit, in der Menschen, die sich gegen Aufrüstung, Atomindustrie und braune Machenschaften in Staat und Gesellschaft engagierten unter Generalverdacht gestellt wurden! Es kam zu über 1500 Berufsverboten! Das zeigt: Kapitalismuskritiker, Linke, demokratische Sozialistinnen und Kommunisten sollten mundtot gemacht und ihrer Existenzgrundlage beraubt werden. Damit wurde nicht nur den Betroffenen Unrecht angetan, es wurde auch der Demokratie Schaden zugefügt. Dagegen haben viele von uns sich seit den 70er engagiert und wir tun das bis heute!

Die Berufsverbote-Praxis in Deutschland wurde bereits 1995 vom Europäischen Gerichtshof in Straßburg als Verstoß gegen die Menschenrechte verurteilt! Es ist daher zu spät, aber dennoch richtig, wenn heute, über 40 Jahre später, endlich in Bremen und Niedersachsen das damals begangenen Unrechts aufgearbeitet wird. Hier in Baden Württemberg müssen wir dafür noch weiter kämpfen!
Ich freue mich, dass die Gewerkschaften, DGB, GEW, ver.di und IG Metall, unsere Forderungen unterstützen!

Es ist ein Skandal, dass sich die SPD über vierzig Jahre nach dem unsäglichen sogenannten „Radikalenerlass“ nicht dazu durchringt, den Betroffenen endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!
Es ist für mich ein noch größerer Skandal, dass sich ein Grüner Ministerpräsident und eine ehemalige Bürgerrechtspartei, deren Wurzeln zu den neuen sozialen Bewegungen zurück reichen, davor drücken Verantwortung für Bürgerrechte und Demokratie zu übernehmen! Herr Kretschmann: eine „wissenschaftliche Aufarbeitung“ reicht nicht aus – die Betroffenen haben Gerechtigkeit verdient! Sie müssen entschädigt werden!

Wir LINKEN werden im neuen Landtag eine entsprechende Initiative einbringen!
Viele derjenigen, die in den 70er und 80ern überwacht und ausgespät wurden, haben sich gegen Unrecht und demokratiefeindliche Entwicklungen gewendet – einige haben dafür mit ihrer beruflichen Perspektive bezahlen müssen.

Liebe Freundinnen und Freunde: Aufarbeitung der Vergangenheit heisst: es muss endlich anerkannt werden, dass es diese Bürgerrechtler, Antifaschisten und demokratischen Sozialisten waren, die die Demokratie verteidigt haben – und nicht diejenigen, die im Namen der Demokratie die Grundrechte eingeschränkt haben.

Liebe Freundinnen und Freunde: wir leben in einer Zeit, in der die Demokratie gefährdet ist. Sie ist gefährdet durch die neoliberale und unsoziale Politik, die zu Spaltungen, Verunsicherung und Rassismus führt! Sie ist gefährdet durch rechte Brandstifter und elitäre Demokratiefeinde der AfD! Sie ist gefährdet durch den Ausbau des Sicherheitsstaates und die Einschränkung von Grundrechten – sei es die Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl, der Versammlungsfreiheit oder der Meinungsfreiheit! Liebe Freundinnen und Freunde – Grundrechte und Demokratie müssen aktiv verteidigt und durchgesetzt werden. Wenn wir hier heute gegen die unsägliche Geschichte und Praxis der Berufsverbote stehen – dann treten wir ein für die Verteidigung der Demokratie und der Grundrechte!


19.02.2016 – Junge Welt: Entschuldigung und Entschädigung gefordert