Meine Rede auf dem gestrigen Antikriegstag in Villingen-Schwenningen:

Liebe Friedensfreunde,

liebe Friedensfreundinnen,

in meiner politisch aktiven Zeit habe ich noch nie eine dermaßen aufgeladene militarisierte Stimmung erlebt, als seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine.

Ich erinnere mich noch genau, als am 3. Juni 2022 das sog. Sondervermögen von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr in namentlicher Abstimmung beschlossen wurde. 593 Abgeordnete stimmten dafür, 80 dagegen, sieben enthielten sich.

Danach erhoben sich die 593 Abgeordneten und klatschten enthusiastisch Beifall für das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte. Beerdigt wurden Jahrzehnte der Entspannungspolitik, des Misstrauens gegenüber Aufrüstung und militärischen Drohungen. Ich habe so eine Stimmung noch nie erlebt. Es war bedrohlich und befremdlich zugleich.

Dabei ist der Verteidigungsetat seit 2014 von 32,4 Mrd. auf 51,95 Mrd. angehoben worden. Über 70 Mrd. sind es, wenn das 2 Prozentziel umgesetzt wird. Weltweit sind die Militärausgaben 2023 um 6,8 Prozent auf unvorstellbare 2,4 Billionen US-Dollar gestiegen. Davon die USA 916 Mrd., China 296, Russland 109. Man sollte meinen, das wäre genug, um die Welt mehrmals zu vernichten. Angesichts des Hungers, des Mangels an sauberem Wasser, des Zustandes der Bildung, angesichts der weltweiten Klimakatastrophe müssten dort die vielen Milliarden untergebracht werden, anstatt in die Ausrüstung fürs Töten.

Auch bei uns bräuchten wir dringend 100 Mrd. für unsere Schulen und Kindertagestätten, für eine funktionierende Bahn, für das Gesundheitswesen und die bessere Bezahlung der Pflegekräfte, für eine funktionierende soziale und öffentliche Infrastruktur, aber nicht für Panzer und Raketen.

Liebe Friedensfreunde,

der beliebteste Politiker in Deutschland ist Verteidigungsminister Boris Pistorius. Ein Sozialdemokrat, der ausgerechnet am 9. November 2023 mit den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien mit seinem Generalinspekteur die deutsche Kriegstüchtigkeit ausgerufen hat. „Sie sind deswegen ein sicherheitspolitisches Armutszeugnis, weil die Sicherheit dort allein als Kriegstüchtigkeit und als Kriegsbereitschaft definiert wird“, schreibt der Journalist Heribert Prantl. Die Richtlinien propagieren die jederzeitige „Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht“. Es geht um die Umstellung auf Kriegswirtschaft schon in Friedenszeiten.

Auch sonst fallen nahezu alle Mauern: Die Rüstungsexporte erreichen Höchststände. Auch Außenministerin Annalena Baerbock hatte keine Bedenken mehr gegen die Lieferung von Kampfjets an Saudi-Arabien. So viel zur feministischen Außenpolitik.

Am 10. Juli dieses Jahres kündigten die Regierungen der Vereinigten Staaten und Deutschlands an, ab 2026 Raketen und Marschflugkörper auf deutschem Territorium zu stationieren. Ein Teil davon kann auch atomar bestückt werden. Ich gehöre zu der Generation, die in den 80er Jahren mit Millionen Menschen gegen die damalige Stationierung von Mittelstreckenraketen auf die Straße gegangen ist. Ich bedaure es sehr und verstehe es auch nicht, warum es heute so viel wie keinen Widerstand gegen diese gefährliche Maßnahme gibt. Noch nicht einmal im Parlament sollte darüber diskutiert werden. Gerade Europa steht im Zentrum hochgerüsteter Atommächte in Ost und West und würde einen Atomkrieg nicht überleben. Dass es bisher nicht gelungen ist das Atomwaffenarsenal zu verbannen, welches ermöglicht die Menschheit mehrmals zu vernichten, zeigt nur wie wichtig es ist die Friedensbewegung wieder zu beleben.

Liebe Friedensfreunde und Friedensfreundinnen,

der Ukraine-Krieg war nicht nur eine Zäsur für die Militarisierung der Gesellschaft. Er hat auch die Friedensbewegung oder zumindest Teile davon verunsichert, ehemalige Kriegsdienstverweigerer wurden zu Befürwortern von Waffenlieferungen oder grüne Umweltpolitiker*innen mutierten plötzlich zu Waffenexperten für Panzer und Kampfjets. Es entstand ein politisches Klima in dem Pazifisten, selbst Politiker*innen, die lediglich forderten Verhandlungsmöglichkeiten auszuloten als nützliche Idioten für Putin beschimpft wurden. Dabei gibt es kaum jemand in der Friedensbewegung, der oder die den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine nicht verurteilten. Es gibt auch keinen Grund mit einer autoritären Regierung, die einem Oligarchenkapitalismus vorsteht und massenhaft junge Menschen auf die Schlachtfelder schickt zu sympathisieren. Im Gegenteil.

Ich habe als junger Sozialist das Prinzip gelernt: Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter. Wenn sie uns in einen Krieg hetzen, sag nein. Vieles erinnert bei diesem Krieg an den ersten Weltkrieg von 1914. Wegen weniger km Geländegewinn müssen Tausende junger Menschen sterben. Sie haben nur ein Leben. Und diejenigen auch im deutschen Bundestag, die völlig überzeugt sind, gerade bei den Grünen, auf der Seite der Guten zu stehen, die westliche Demokratie und Kultur zu verteidigen haben vergessen, dass ihre Aufgabe ist, alles dafür zu tun diesen Krieg zu beenden. Das ganze Gerede von Strack-Zimmermann und andern, die Ukraine müsse siegen, ist längst von der Wirklichkeit widerlegt. Die Reaktion darauf ist, noch mehr Waffen zu liefern. Die Aktienkurse von Rheinmetall schießen in die Decke. Wie lange soll das noch so weitergehen, wie viele Menschen müssen noch sterben? Mit Putin könne man nicht verhandeln, heißt es. Kriege können jedoch nur durch Verhandlungen beendet werden. Ein Siegfrieden ist nicht möglich und man kann sich seine Verhandlungspartner nicht heraussuchen. Alles andere hieße so lange weiter Krieg führen bis in Russland ein Regimewechsel stattfindet. Das kann noch lange dauern. Soll der Krieg noch Jahre gehen und wie viele Menschen sollen noch sterben? Und würde die Ukraine die besetzten Gebiete wieder zurückbekommen?

Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Lieber 1000-mal verhandeln als einmal schießen. Der bereits zitierte Heribert Prantl schrieb: Man muss Verhandlungen auch herbeiverhandeln. Wir haben vorgeschlagen, dass China und Indien als Vermittler agieren müssen. Indien hat sich gerade wieder angeboten.

Unsere Aufgabe als Friedensbewegung ist der Militarisierung der Politik und der Gesellschaft eine klare Absage zu erteilen. Unsere Aufgabe ist, dafür zu kämpfen, dass Deutschland friedenstüchtig wird und nicht kriegstüchtig.