Rede im Bundestag am 12.10.2023 - UNO-Nachhaltigkeitsziele endlich umsetzen – wir brauchen ein neues Wohlstandsmodell

Die Uno-Nachhaltigkeitsziele sind ein wahrer Lichtblick der Menschheitsgeschichte. Würden sich die 193 Mitgliedsstaaten an diese Vorgaben halten, wäre es um den Zustand der Welt und Deutschlands besser bestellt. Dies schafft weder der Markt noch ein grün angestrichener Kapitalismus. Die Richtung und das Tempo der politischen Maßnahmen der Ampel-Regierung müssen sich grundlegend ändern.

Sehr geehrte/r Herr Präsident/Frau Präsidentin,

Sehr geehrte Damen und Herren,

die 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele sind ein positives Beispiel dafür, was weltweite Kooperation leisten kann. Die Nachhaltigkeitsziele sind ein wahrer Lichtblick in der Menschheitsgeschichte: Armut beenden, kein Hunger, gesundes Leben für alle Menschen, hochwertige Bildung gewährleisten, Geschlechtergleichstellung, Verfügbarkeit von Wasser und nachhaltiger Energie für alle, menschenwürdige Arbeit, Ungleichheit verringern, Maßnahmen gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen, friedliche und inklusive Gesellschaften fördern. Die globalen Entwicklungsziele überzeugen auch deshalb, weil sie keine eindimensionalen Antworten geben. Die Agenda 2030 erkennt an, dass ein Ziel nicht ohne das andere zu erreichen ist. Ohne friedliche Entwicklung, keine effektive Bekämpfung des Hungers in der Welt. Ohne Bekämpfung der Armut wird es schwer hochwertige Bildung zu gewährleisten.

Würden sich die 193 Mitgliedsstaaten tatsächlich an diese Vorgaben halten, wäre es um den Zustand in der Welt und in Deutschland besser bestellt. Die Welt befindet sich seit einigen Jahren im Dauerkrisenmodus. Verschiedene Krisen, wie Gerechtigkeitskrise, Klimakatastrophe, wirtschaftliche Stagnation und hegemoniale Krisen mit erhöhter Kriegsgefahr treten gleichzeitig auf, verschränken und verstärken sich gegenseitig. Verschiedene Wissenschaftler*innen warnen mittlerweile vor der Gefahr einer globalen Polykrise, bei der die lebenswichtigen natürlichen und sozialen Systeme der Erde durcheinandergeraten und sich die Aussichten der Menschheit irreversibel verschlechtern.

Es ist offensichtlich, eine auf Profit und grenzenlosem Wachstum aufgebaute Weltwirtschaftsordnung, die die vorhandenen Ressourcen plündert, in vielen Teilen der Welt keine Rücksicht auf das Klima und die Gesundheit der Menschen nimmt und die Aneignung des erarbeiteten Reichtums in wenigen Händen konzentriert, kann die Krisen unserer Zeit nicht lösen kann. Der traurigste und tragischste Ausdruck davon ist, dass der Hunger in der Welt nicht besiegt wird. 735 Millionen Menschen auf der Welt hungern. Eine Weltwirtschaftsordnung, die es trotz ausreichend vorhandener Nahrungsmittel nicht einmal schafft, dass kein Mensch hungern muss oder ständig unterernährt ist, hat kein moralisches Recht fortzubestehen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

leider ist auch der jüngste Weltnachhaltigkeitsbericht ein Ausweis des Scheiterns. Beseitigung extremer Armut: „wenig oder gar keine Fortschritte“, Ernährungssicherheit: verschlechtert. Zugang zur Schulbildung: Rückschritt. Klimaschutz, biologische Vielfalt: negative Entwicklung. Geschlechtergerechtigkeit: keine Bewegung.

Sieht es zumindest in Deutschland besser aus. Leider Nein. Der letzte Indikatorenbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland spricht ebenfalls eine erschreckende Sprache. Rund eine Achtel der Indikatoren stagnieren bzw. verschlechtern sich bei der Zielerreichung. Rund 40 Prozent der Indikatoren entwickeln sich so schwach, dass eine Zielerreichung nicht zu erwarten ist

Die Krisen auf globaler Ebene taugen dafür nicht als Ausrede. Krisen bieten auch Chancen ungeeignete Politik zu beenden neue Entwicklungspfade aufzumachen.

Wer die Preisgestaltung von Energie dem Markt und wenigen großen Konzernen überlässt, muss sich über sich über den rasanten Preisanstieg bei Energie, über hohe Inflation und zunehmende Armut nicht wundern.

Wer lieber 100 Milliarden Euro in Militär investiert, statt in Mobilitätswende, Energiewende und sozial-ökologische Transformation darf sich über das Verfehlen der Klimaziele nicht wundern.

Wer zu wenig Geld in Bildung und Erziehung investiert, nicht rechtzeitig und nicht genügend Lehrer*innen und Erzieher*innen ausbildet verantwortet den Bildungsnotstand und das Rekordhoch von 2,64 Millionen junger Menschen zwischen 20 und 35, ohne Berufsausbildung. Das ist komplettes Bildungsversagen, meine Damen und Herren.

Ich bin überzeugt, ohne eine grundsätzliche Änderung unserer Wirtschafts- und Lebensweise werden wir auch in den nächsten Jahren die Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen. Wir brauchen eine Wirtschaftsweise, bei der nur so viele Ressourcen verbraucht werden als nachwachsen, bei der die Emissionsziele erreicht werden, die vor allem nicht an Profit und Wachstum orientiert ist, sondern am guten Leben für alle. Dazu gehören vor allem gute Löhne, gute Arbeitsbedingungen und sinnvolle Arbeit. Es müsste bei der Debatte um Nachhaltigkeit klar sein, dass die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes nicht gleichbedeutend mit Wohlstand für alle ist.

Verkehrsunfälle erhöhen das Bruttoinlandsprodukt, wohl aber kaum die Lebensqualität. Neue Autobahnen führen zu Wirtschaftswachstum, aber nachweislich zu keinem Zeitgewinn bei der Mobilität, zerstören die Natur und verursachen den Ausstoß von noch mehr Emissionen.

Wir brauchen keine Steigerung des Konsums von schnell verschleißbaren und ressourcenfressenden Waren. Stattdessen müssen wir langlebige und reparaturfreundliche Güter produzieren. Das schont Energie und Ressourcen und schafft qualifizierte Arbeit für die Reparatur von Handys, Elektrogeräte, Kleidung, Möbel u.v.a.m.

Wir können und müssen Wohlstand anders definieren. Gutes Leben hängt nicht an den Versprechungen der Werbung, sondern am Zugang aller, zu guter Erziehung und Bildung, zu wohnortnaher Gesundheitsversorgung, bezahlbarem Wohnraum. Gutes Leben braucht eine gute öffentliche Infrastruktur, Kultur und Sport, eine Garantie für nachhaltige Mobilität, ohne ein Autor besitzen zu müssen. Das Recht auf saubere Luft, eine gesunde Umwelt, Energieversorgung, sauberes Wasser, die Gestaltung und Ausdehnung des öffentlichen Raumes und geschützte Räume für Kinder und Jugendliche, einen pfleglichen Umgang mit alten und kranken Menschen. Gutes Leben heißt gleichberechtigte Beteiligung und gleichberechtigte demokratische Aneignung der Gesellschaft.

Einige der Nachhaltigkeitsziele enden in der Überschrift mit zwei Wörtern: Für alle. Es geht um ein gutes Leben, um vielfältige Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in einer intakten Umwelt für alle Menschen. Nicht nur für die oberen 10 oder 30 Prozent, nicht nur für sog. Inländer, auch für Migrant*innen und Geflüchtete, nicht nur für die Menschen in den reichen Ländern, auch für die Menschen im globalen Süden, nicht nur für die jetzigen, auch für die künftigen Generationen. Alle heißt alle und ist das Gegenteil von sozialdarwinistischem oder rassistischem Ausschluss großer Teile der Menschheit.

Die politisch Gewählten haben die Aufgabe dafür die gesellschaftlichen Bedingungen zu schaffen. Diese Bedingungen schafft nicht der Markt und schafft auch kein grün angestrichener Kapitalismus. Die Ampel macht gerade das Gegenteil: Statt den Sozialstaat krisenfest zu machen werden erstmals wieder Mittel im sozialen Bereich gesenkt. Statt die unerträgliche Kinderarmut zu beseitigen, wird eine nur unzureichende Kindergrundsicherung auf den Weg gebracht. Statt armuts- und Altersarmutsfester Löhne wird der Mindestlohn real in Kaufkraft abgesenkt. Statt einer nachhaltigen Verkehrswende werden im Beschleunigungsverfahren neue Autobahnen und Bundesstraßen gebaut. Statt geeignete Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die verfehlten Klimaziele im Verkehr und bei Gebäuden zu korrigieren wird das Klimaschutzgesetz verschlechtert.

Ich fürchte die Geschichte des 21. Jahrhunderts wird kein gutes Urteil über die Entscheidungsverantwortlichen sprechen, wenn nicht die Richtung und das Tempo der politischen Maßnahmen grundlegend verändert wird.