Teil 2: Brüche und Krisen der gesellschaftlichen Entwicklung
DIE LINKE steht vor der Aufgabe Auswege aus der Klimakatastrophe zu finden und die Kämpfe der Klimabewegung zu unterstützen. System Change not Climate Change!
Mit dem Text "Brüche und Krisen der gesellschaftlichen Entwicklungen" habe ich mehrere Thesen für das Verständnis und die Politik der Partei DIE LINKE formuliert, die ich hier in den nächsten Tagen in 5 Teilen veröffentliche. Im zweiten Teil befasse ich mich mit den multiplen Krisen des Kapitalismus:
Der Krieg inmitten von Europa und die weltweit wachsenden Kriegsgefahren sind nicht die einzige Krise mit der wir es zu tun haben. Verschiedene Theoretiker der Linken reden und schreiben schon seit längerem von den multiplen Krisen oder einer ökonomisch-ökologischen Zangenkrise (Klaus Dörre) des Kapitalismus. Die ökonomischen und sozialen Krisen verschränken sich mit der lebensbedrohenden Klimakrise, wachsenden militärischen Konflikten und Kriegsgefahren. Verschiedene soziale, ökologische und demokratische Bewegungen sind entstanden, die sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfinden wollen. Die selbsternannte Fortschrittskoalition mit Kanzler Scholz konnte ihr Modell eines modernisierten Kapitalismus, das zugleich mit einer begrenzten Transformation, Wachstum und die Verbesserung der Weltmarktposition in Einklang bringen wollte, nicht so richtig voranbringen. Das Konzept der Abkoppelung von Wachstum vom zunehmenden Ressourcenverbrauch scheint schon jetzt gescheitert zu sein. Zu groß sind die Krisen mit denen sich die Ampel gleichzeitig auseinandersetzen muss. Die drohende Energiekrise konnte gerade noch abgewendet werden. Trotzdem sind die Preise für Gas doppelt so hoch, wie vor dem Ukraine-Krieg. Die Hoffnung über Wachstum den Verteilungskrisen aus dem Weg zu gehen, schmilzt gerade dahin wie der Schnee in der Sonne. Höhere Steuern für Konzerne und Superreiche sind durch das Veto der FDP auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Den Finanzierungsproblemen aus dem Weg zu gehen, indem nach dem Vorbild des Sonderfonds für die Bundeswehr Schattenhaushalte gebildet werden ist kaum mehr möglich. Die FDP wird das nicht mitmachen. Die gestiegenen Zinsen erschweren eine weitere Verschuldung. So werden wichtige Projekte der Koalition wie die Kindergrundsicherung, Klimaschutz, usw. auf Sparflamme gehalten. Der Streit zwischen FDP und Grünen ist Ausdruck dieser Krisen und Widersprüche.
Soziale Krise ist ohne massive Umverteilung nicht zu lösen
Schon seit Jahrzehnten stecken wir einer sozialen Gerechtigkeitskrise. Die soziale Schere geht weiter auseinander, sowohl zwischen den Ländern des globalen Südens und den wirtschaftsstarken Ländern des Nordens, als auch zwischen den Klassen in den jeweiligen Ländern. Oxfam berichtete Mitte Januar, kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos, dass Konzerne und Superreiche die großen Krisengewinner sind. Seit 2020 gingen zwei Drittel aller Vermögenszuwächse an das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung, während die anderen 99 Prozent mit dem Rest vorlieb nehmen müssen. Erstmals seit einem Vierteljahrhundert hätten extremer Reichtum und extreme Armut gleichermaßen zugenommen. Noch gravierender als im globalen Vergleich ist die soziale Kluft in Deutschland gewachsen. In der Bundesrepublik entfielen 81 Prozent der Vermögenszuwächse auf das reichste eine Prozent und nicht einmal 20 Prozent auf den Rest.
Die Zeit während der Coronapandemie konnte das Kapital nutzen, Gewinne und Reichtum der Aktionäre zu vergrößern. Die durch den Krieg gegen die Ukraine verschärfte Inflationsentwicklung führt bei Millionen Beschäftigten zu Reallohnverlusten und der Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen. Ca. 40 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen keinerlei Reserven. Die Verdoppelung der Energiekosten stellt sie vor schwer lösbare Probleme. Die Verteilungskämpfe werden härter. Während die Gewerkschaften in den meisten Branchen sich nicht zutrauen auch nur den Inflationsausgleich durchzusetzen (wobei zu fragen wäre, ob die tatsächliche Kampfkraft ausgeschöpft wird) werden andererseits die staatlichen Ausgleichsmaßnahmen gerade für die unteren und mittleren Einkommensgruppen nicht ausreichen, um die gestiegenen Kosten zu bewältigen. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bekommt großes Gewicht und wird Aufschluss darüber geben, ob es in dieser direkt und indirekt über 4 Millionen Beschäftigten umfassenden Tarifauseinandersetzung gelingen kann, Lohnerhöhungen im Umfang der Inflationsrate durchzusetzen. Selbstverständlich unterstützt DIE LINKE die Beschäftigten, vor allem bei Aktionen und Streiks. Die Mobilisierung vor der dritten Verhandlungsrunde Ende März ist erfreulich gut.
Der Parteivorstand hat beschlossen eine Kampagne zur Umverteilung von Oben nach Unten auf den Weg zu bringen. Zusammen mit der Forderung nach einem massiven Klimaschutzprogramm und einer Aufwertung des Öffentlichen ist das der richtige Schritt. Die Partei hat ein Alleinstellungsmerkmal bei der Forderungen nach höherer Besteuerung der Superreichen und Reichen. Gleichzeitig gibt es spürbare Mängel im Bereich von Pflege, Erziehung, Bildung, ÖPNV, Bahn, usw. Im Zusammenhang mit der Forderung nach konkreten Verbesserung auf diesen Feldern kann die Kampagne erfolgreich werden. Der DGB will für eine Vermögenssteuere „trommeln“.
Gefahr einer heraufziehenden Wirtschaftskrise
In den USA und den Ländern der europäischen Union wird die Inflation in erster Linie mit Zinserhöhungen bekämpft. Das ist in hohem Maße problematisch, denn die Energiepreise reagieren nicht auf Zinserhöhungen. Die Kosten für Hypotheken steigen ebenso wie die Baupreise. Die Bundesregierung gab dieser vor kurzem bekannt, dass sie das Ziel von 400 000 neu gebauten Wohnungen weit verfehlen wird. Private und staatliche Schulden verteuern sich, die Gewinne von Banken und Finanzkonzernen werden steigen. Die hohe Inflation entwertet die Löhne, führt zu sinkender Kaufkraft und weiterer Umverteilung. Die staatlichen Ausgleichsprogramme werden die gestiegenen Lebenshaltungskosten kaum ausgleichen. Die gestiegenen Energiekosten belasten die Bilanzen energieaufwendiger Industriesektoren. Dazu kommen noch Lieferengpässe, die den Produktionsprozess zumindest beeinträchtigen. 2022 konnte trotz dieser Bedingungen ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent erzielt werden, was jedoch die Einbußen während der Coronakrise kaum wettmachen dürfte. Bisher schlagen diese Entwicklungen nicht oder kaum auf den Arbeitsmarkt durch. Die Beschäftigung bleibt auf einem Höchststand. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass wir es in den nächsten Jahren mit einem Krisenzyklus der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun haben, mindestens jedoch mit einer Stagnationsphase. Auszugehen ist von einem Prozess wachsender Verteilungsungerechtigkeit und beschleunigt durch die Transformation und Digitalisierung von einem ökonomischen Konzentrations- und Zentralisierungsprozess. Die Elektromotorisierung der Automobilindustrie und damit des wichtigsten Industriebereiches führt absehbar zu Arbeitsplatzvernichtung, beginnend bei den Zulieferern. Beobachtet werden kann seit geraumer Zeit die zunehmende Verlagerung von Produktionsstandorten in osteuropäische Länder und in die Türkei. Der Markteintritt von chinesischen oder auch indischen Automobilfirmen wird durch die Elektromotorisierung erleichtert und führt zu einem verschärften internationalen Konkurrenzkampf. Für Deutschland wird für dieses Jahr eine geringe Wachstumsrate von 0,2 Prozent erwartet, nachdem zuvor von den meisten Wirtschaftsinstituten eine Rezession prognostiziert wurde.
DIE LINKE unterstützt Kämpfe der Belegschaften und der Gewerkschaften gegen Standortschließungen und Verlagerungen von Produktionsstätten. Das geschieht gerade massenhaft bei den Zulieferern, die die Transformation nicht finanzieren können oder einfach nur um die niedrigeren Lohnkosten für höhere Profite zu nutzen. Die IGM hat auf die dramatische Lage der Zulieferer aufmerksam gemacht.
Dabei vertreten wir bei der Transformation das Ziel eines umfassenden Umbaus zu einer emissionsfreien Wirtschaft. Mit Hilfe von Strukturpolitik und Konversion (z.B. die Produktion von nachhaltigen Verkehrsmitteln) soll z.B. die Automobilindustrie zu einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie umgebaut werden. Das verbinden wir mit der Forderung nach Erweiterung der Mitbestimmung und einen Einstieg in die Wirtschaftsdemokratie. Die Dimension einer Transformation, die das Klima und die Arbeitsplätze schützt, ist so umfassend, dass sie ohne Änderung der Eigentumsformen – Genossenschaften, belegschaftseigene Betriebe, öffentliches Eigentum – nicht erfolgreich sein kann. Umfassende Arbeitszeitverkürzung ermöglicht höheren Zeitwohlstand und ein besseres Leben. Es wird Zeit, dass dazu eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen wird. Die Arbeit in personenbezogenen Dienstleistungs- und sozialen Bereichen muss dringend aufgewertet und besser bezahlt werden.
Der Kapitalismus kann die Klimakatastrophe nicht verhindern
Die größte Krise und Herausforderung ist die Klimakatastrophe. Es gibt innerhalb unserer Partei nach wie vor Gruppen, die davor warnen grüner als die Grünen zu werden. Das Thema würde den Grünen zugeordnet und könne von uns deshalb nicht erfolgreich besetzt werden. Außerdem würden wir uns von den lohnabhängigen Klassen entfremden. Unabhängig von dieser strategischen Frage gibt es die Klimakrise; wir sind bereits mittendrin. Die Lösung der Klimakatastrophe ist eine objektive gesellschaftliche Aufgabe. Die Weichen, ob wir daran scheitern oder nicht werden in den nächsten 15 Jahren gestellt. Die Grünen, wie auch die Ampel können mit ihrem Ansatz die Krise nicht lösen. Gerade für die Lohnabhängigen zeigt sich die Klimakatastrophe als Gerechtigkeitskrise, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen in hohem Maße beeinflussen wird.
Trotz deutlichem Rückgang des Energieverbrauches hat Deutschland auch 2022 seine selbst gesteckten Klimaziele deutlich verfehlt. Deutschland emittierte 5 Millionen Tonnen Treibhausgas mehr als die Obergrenze vorsieht. Neuere Meldungen gehen davon aus, dass der sinkende Energieverbrauch dazu geführt hat, dass Deutschland innerhalb der Klimaziele geblieben ist.
Unstrittig ist der hohe Emissionsausstoß durch die Reaktivierung von Kohlekraftwerken, Gebäude und der Verkehr. Das FDP geführte Verkehrsministerium blockiert die eigenen Klimaziele. Neue Autobahnen und Bundesstraßen sollen gebaut werden, während der Ausbau des Schienennetzes stagniert und den Kommunen und Ländern die nötigen Mittel für einen nachhaltigen Ausbau des ÖPNV und des Regionalverkehrs verweigert werden. Laut dem Expertenrat wird Deutschland auch seine Klimaziele bis 2030 deutlich verfehlen. Die heißen Sommer, bei denen sich Trockenheit und Starkregen abwechseln, die Überschwemmungen im Ahrtal, das Absinken der Grundwasserspiegel, machen erfahrbar, dass die Klimakatastrophe nicht erst in der fernen Zukunft kommt. Sie lässt uns bereits heute erahnen, was in nicht allzu ferner Zukunft in geballter Form auf uns zukommen wird. Der Bericht des Weltklimarates, dass wir bereits bis 2035 eine Erwärmung von 1,5 Prozent bekommen, wenn nicht massiv gegengesteuert wird.
Seit Beginn der Industrialisierung, also seit 200 Jahren, nimmt die Konzentration von Treibhausgasen stark zu. CO2 ist wesentlich für die Erderwärmung verantwortlich. Die Luft an der Erdoberfläche hat sich gegenüber der Zeit vor der Industrialisierung um den Mittelwert von 1 Grad erwärmt. In Deutschland liegt der Temperaturanstieg im zurückliegenden Jahrzehnt um 2 Grad höher als in den ersten Jahrzehnten der Aufzeichnungen. Das Abschmelzen der Gletscher und des arktischen Meereises führt zu einem Anstieg der Meeresspiegel. Die Lebensgrundlage von über 100 Millionen Menschen ist heute schon bedroht. Namhafte Klimaexperten gehen davon aus, dass das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens nicht mehr erreichbar ist. Selbst ein Anstieg um 2 Grad ist ohne radikale Änderung der Wirtschafts- und Lebensweise nicht möglich. Durch verschiedene Klimafolgen, wie z.B. das Auftauen der Permafrostböden, die Zerstörung der Artenvielfalt, Verlust des natürlichen Eisschutzes vor Sonneneinstrahlung durch das Abschmelzen der Polarkappen, dem Anstieg der Meeresspiegel und Beschädigung der Kohlenstoffaufnahme der Meere droht das Überschreiten der Kipppunkte und damit eine dominoartige Kettenreaktion. Irrreversible Schäden wären die Folge, die bis zur Gefährdung des Überlebens der Menschheit führen kann.
Die dem Kapitalismus innewohnende Externalisierung der sozialen Kosten auf die Gesellschaft und der ökologischen Kosten auf die Natur und das Klima kann, bei Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, nicht überwunden werden. Die Illusion der Grünen und der Sozialdemokraten von grünem Wachstum, das vom zunehmenden Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden kann, wird zerplatzen wie eine Seifenblase. Der Kapitalismus löst seine inneren Widersprüche durch Wachstum und Inwertsetzung noch nicht erschlossener Bereiche. Längst wird fast jeder weitere Fortschritt durch ein wachsendes Maß an Zerstörung und Destruktivität erkauft. Der Kapitalismus ist zugleich ein System gravierender Ungleichheit. Das trifft auch auf die Klimakatastrophe zu. Während eine Minderheit reicher und vermögender Menschen den größten ökologischen Fußabdruck hinterlässt, muss eine übergroße Mehrheit für die Folgen bezahlen. Nach Oxfam sind die reichsten 10 Prozent der Menschen für mehr als die Hälfte der CO2 Emissionen verantwortlich. Während das reichste eine Prozent allein 15 Prozent der Gase emittiert, verantwortet die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung lediglich 7 Prozent. In Deutschland waren 10 Prozent der Reichsten 2015 für mehr Emissionen verantwortlich als der Rest der Bevölkerung. Die einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung wohnen meist in den verkehrsreichen Straßen, tragen die größte Last der gesundheitlichen Folgen, sterben früher und sind mit der Verteuerung der Lebensmittel am härtesten getroffen.
Zurecht schreibt die Schweizer Gruppe Denknetz: „Wer glaubt, bei der Klimaerhitzung gehe es „nur“ um eine Zunahme von Hitzewellen, Starkregen und steigende Meeresspiegel der täuscht sich. Die Krisendynamik ist ebenso durch Versorgungsengpässe, Verteilungskämpfe und globale Konflikte geprägt“ (Denknetz 12/November 2022). Noch gravierender trifft die Klimakatastrophe die Menschen im globalen Süden, obwohl sie den geringsten Anteil verursachen. Hie und da anzutreffende Debatten ob die Linke sich mehr den sozialen Fragen zuwenden muss und nicht den Anschein erwecken darf, Grüner als die Grünen zu werden sind vor diesem Hintergrund völlig aus der Zeit gefallen. Die Frage des Klimaschutzes ist eine zutiefst soziale Frage, sie durchzieht die gegensätzlichen Klasseninteressen wie ein roter Faden und die Beantwortung ist ein grundsätzliche, deren Beantwortung in der Überwindung des kapitalistischen Systems liegt.
Jede linke Partei steht vor der Aufgabe Auswege aus der Klimakatastrophe zu finden und die Kämpfe der Klimabewegung zu unterstützen. Die Aufgabe, die vor uns steht ist der grundsätzliche globale Umbau des bestehenden Wirtschafts- und dominierenden Lebensmodell, welche vor allem durch die Industrienationen der westlichen Welt geprägt sind.